Diese Wörter
von Benny Härlin (aus:Die Tageszeitung vom 4.9.84)


"Es geht nicht darum, gefangen zu sein, sondern darum, sich nicht zu ergeben." Ralf-Axel Simon nach Nazim Hikmet in "Knastblatt 72"
Zusammen zwei Jahre und acht Monate soll Ralf-Axel Simon, in der Berliner Szene besser bekannt als "Knastblatt-Axel", hinter den Mauern verbringen, gegen die er seit Jahren anrennt. Das Verbrechen? Fortgesetzte Beleidigung der Berliner Justiz und Polizei. Zudem verhängte ein Schöffengericht wegen seiner "staatsverachtenden" Gesinnung ein zweijähriges Berufsverbot als Verleger und Journalist gegen diesen "Überzeugungstäter", de facto ein Verbot, überhaupt noch öffentlich seine Meinung kundzutun. Dieses bisher einzigartige Berufsverbot wäre, wenn es von der Berufungsinstanz bestätigt wird, ein neues Glanzstück in dem ohnehin schon gut bestückten Kabinett politischer Anmaßungen der Berliner Strafjustiz: die Verwirkung von Grundrechten zur Disposition Moabiter Amtsrichter! "Von solch einem Staat mit einem Berufsverbot als Journalist bedacht zu werden und sich wegen Beleidigung der Leute, die die Macht der Herrschenden durchsetzen, Knaststrafen einzufangen, kann ich nur als eine menschliche Auszeichnung begreifen", schrieb Axel einmal in seinem Knastblatt - was prompt zu seiner nächsten Verurteilung beitrug. Dieser von beiden Seiten mit erbarmungsloser Sturheit ausgetragene Kampf um Worte und Werte ist Posse und Tragödie, Staatszirkus und Märtyrerlegende zugleich, ein unverträglich deutsches Stück Kultur-, Justiz und linker Geschichte. Während ich die Alu- und Panzerglasschleusen der Moabiter U-Haft passiere, muß ich an die kleine muffige Zelle denken, in der die Gefangenen vor und nach ihrer Besuchszeit zwischengelagert werden. Der Boden ist von Kippen übersät, an den pißgelben Wänden findet man kaum noch Platz für seinen Spruch. Hier kommt jeder vorbei. Der richtige Platz also, um Grüße an Kumpels zu hinterlassen oder ihnen ewige Rache anzukündigen, wenn sie gesungen haben. Dem unvermeidlichen Innensenator Lummer wird dort von Besetzers die Schlachtung angedroht und zwischen arabischen Hieroglyphen steht:"Einen Finger kann man brechen - fünf Finger sind eine Faust!" und darunter:"Dann schlag`damit doch mal gegen diese Wand, du Idiot!" In diesem Kabuff sitzt er jetzt und wartet, starrt vielleicht durch Gitter und Stacheldraht des Oberlichts in den Himmel oder auf den festgetrockneten Rotz an der Wand. Ein mieser Ort für Sehnsucht. Hier bricht sich der Knastalltag am Gefühl. Gleich wirst Du sie sehen, für eine kostbare, schmerzhafte halbe Stunde, die Liebe, wie einen Kloß im Hals. Und danach sitzen traurige Familienväter, todunglückliche Geliebte und verlorene Söhne da mit ihrem Tabak und der Schokolade aus dem Automaten, in Gedanken noch mit ihnen auf dem Weg nach Hause, bis der Schließer sie zurück in ihre Zelle führt. Man könnte heulen, aber doch nicht hier. Axel sieht blaß und ungesund aus in seinem Anstaltsdrillich. Nur seine Augen strahlen wie immer. Draußen hätten wir uns nicht umarmt. Hier könnte ich ihn einfach im Arm behalten und am liebsten gar nix reden statt die knappe Zeit mit Worten zu verschwenden. Draußen hat er manchmal darüber geredet, wie es im Knast wohl sein wird. "Du willst ja auch regelrecht einfahren!" habe ich ihm vorgeworfen und er hat gelacht. Jetzt hat er Kopfweh, seit einem halben Jahr, fast ununterbrochen. Lesen, Schreiben, alles tut weh. Sie haben ihm zwei Tabletten gebracht am Tag, die soll er sich einteilen. Aber mit sowas fängt er erst gar nicht an. 23 Stunden am Tag allein, mit pochendem Kopf, das ist Folter, Wahnsinn! "Ich habe glernt, damit umzugehen", sagt Axel und lächelt. Dieser liebe, etwas schmächtige Mensch mit seinen braunen Jesus-Locken un dem Vollbart, der mir da gegenübersitzt, verfügt über eine Leidensfähigkeit, die mir einfach unfaßlich ist. "Leiden gibt Kraft, weil du merkst, daß sie dich damit nicht brechen können", hat er mir geschrieben. Ich fürchte, daß er Leiden braucht um zu wissen, daß er kämpft. Aber das hält er für ein Klischee. Ralf-Axel Simon, soviel steht fest, ist ein extremer Typ. Sein erstes Berufsverbot bekam er vor fast zehn Jahren als Religionslehrer. "Avanti Populo" und der "Baggerführer Willibald" erregten schon Aufsehen. Als er mit den Kindern in der Religionsstunde über die Motive der Entführer von Peter Lorenz diskutierte, flog er raus. "Als ich entlassen wurde, das werde ich nie vergessen, und das letzte Mal im Lehrerzimmer saß, haben mich meine Kollegen, auch die, die mich zuvor unterstützt und geduzt hatten, nicht einmal mehr gegrüßt, weil sie Angst hatten. So weit soll es mit mir nie kommen!" meint er. Er spielte Schach in der Deutschen Schach-Bundesliga und arbeitete in einer Dritte-Welt-Initiative als wir uns kennenlernten. Mit dem alternativen Lebensstil der Zeitungsredaktion, in der wir uns begegneten, hatte er große Schwierigkeiten. Er konnte einfach nicht verstehen, daß wir so wenig Konsequenz und Verbindlichkeit aufbrachten, soviel redeten und so wenig taten. Axel war für mich der vollkommene Vertreter des kategorischen "DA-muß-man-doch-was-tun!" und gerade dieser gewisse offene Blick, seine unbeirrbare Freundlichkeit mobilisierten in mir sofort sämtliche Abwehrsysteme gegen dieses ewige schlechte Gewissen, das besonders gute Menschen bei einem durchschnittlichen Sünder unweigerlich auslösen. Da es der Sünder allzuviele gibt und der Starke bekanntlich allein am stärksten ist, stieg er bald aus und machte als Einzelkämpfer Knastarbeit. Fast täglich besuchte er Gefangene in Tegel und Moabit, bis er dort Hausverbot bekam, vermittelte Briefkontakte, und seine Paketaktionen zu Weihnachten und Ostern machten ihn in allen Berliner Knästen berühmt. Im grünene Parka mit seinem Moped nachts von einer Kneipe zur nächsten unterwegs, um -zur Finanzierung seines Ein-Mann-Komitees- die Stadtillustrierte `Zitty`zu verkaufen und sein `Knastblatt`zu verteilen, so war er der Berliner Scene als eines ihrer Orginale bekannt. Beim `Tagesspielgel`kannte man ihn als zuverlässigen Zeitungsausträger im Morgengrauen. Dem Staatsschutz, der sich bald für seine Arbeit, v.v. das `Knastblatt`zu interessieren begann, war nur er allein als Betreiber, Finanzier und Akteur bekannt, obwohl man in wochenlangen Observationen nach Hintermännern und Hilfstruppen gesucht hatte. "Soviel kann einer allein gar nicht schaffen - dachten die", erzählt er stolz. Den Trick verriet er mir schon vor Jahren mit dem Gestus einer naturwissenschaftlichen Entdeckung:"Der Mensch braucht eigentlich nur vier Stunden Schlaf am Tag", er hat es jahrelang bewiesen. Über seine Arbeit schrieb Axel nach seiner Inhaftierung fogendes:
Gerichtsurteil
Name: Ralf-Axel Simon
Geboren: im heißen Herbst 1977
von da an begann ich politisch zu denken!
doch lebe ich schon viel länger
seitdem es Widerstand, seitdem es Befreiungskämpfe gibt!
Beruf: Aufständischer, Sandkorn im Getriebe der Macht
i ch bekenne mich schuldig:
sechs Jahre gegen die Einknastung von Menschen gearbeitet zu haben
ich bekenne mich schuldig
in dieser Zeit mehr als 100 000- DM
durch nächtliches Zeitungsaustragen und verkaufen
für die Knastarbeit erarbeitet zu haben
ich bekenne mich schuldig
ein Knastblatt herausgegeben zu haben
alle 14 Tage in einer Gesamtauflage von 15-20000 Exemplaren
mit einer Gesamtauflage von einer Million
ich bekenne mich schuldig
dieses Knastblatt aus der inhaltlichen und
sprachlichen Sicht der Betroffenen geschrieben zu haben
ich bekenne mich schuldig
Weihnachten 1982 und Ostern 1983
für die Gefangenen eine Paketaktion organisiert zu haben,
d.h. es wurden insgesamt 1000 Pakete an Gefangene geschickt,
die sonst kein Paket bekommen hätten
ich bekenne mich schuldig
einen Schließer daran gehindert zu haben
wehrlose Gefangene zu quälen
indem ich in der Wohngegend dieses Schließers
ein Flugblatt mit der Vorfallsschilderung verteilt habe
der Schließer ist dann den peinlichen Fragen seiner Nachbarn ausgewichen
indem er umzog und seitdem keinen Gefangnenen angefaßt hat
ich versichere eidesstattlich,
diese meine Arbeit weiterzumachen und zu vollenden,
sobald ich meine Strafe dafür, die zwei Jahre Knast,
abgesessen habe!
Das `Knastblatt`, als dessen alleinverantwortlicher Redakteur, Herausgeber, Finanzier, Hersteller und Vertreiber Ralf-Axel Simon verantwortlich zeichnete, ist zunächst einmal ein überwältigendes Beispiel dafür, wieviel Text man auf der Vorder- und Rückseite eines einzigen DIN-A Blattes zusammenquetschen kann. Duch konsequente Kleinschreibung spart er beim Zeilenabstand, kam er mit dem Platz dennoch nicht hin, reduzierte er kurzerhand die Schriftgröße. Inhaltlich sollte es "einen Überblick geben über das, was in den Bereichen Knast, politische Prozesse und Bullenterror in den letzten zwei Wochen öffentlich gemacht wurde". Es handelte sich also genaugenommen um eine Art Pressespiegel. In Drei-bis Zehnzeilern refereierte er auf seine ganz spezielle Art Artikel aller Berliner und überregionalen Tageszeitungen: "terrorurteil des bundes`sozial`gerichtes"..."terrorurteil in coburg"...terrorurteil in frankfurt"..."terrorurteil in itzehoe" ... "die unglaubliche terrorbilanz der bärliner bullen-justiz-mafia"...so beginnen die zu vermeldenden politischen Verurteilungen:"jubel in..." siganlisiert einen Freispruch für Freunde, "eine krähe hackt der anderen kein auge aus" dagegen einen Freispruch für "bullen" oder andere staatsdiener. Zwischen den Nachrichten lockern fettgedruckte Sinnsprüche und Parolen das Bild auf. Zitate von Brecht, Borchert, Ulrike Meinhof oder Ingeborg Drewitz, Hauptsache knapp und stark tönend, kämpferisch oder anklagend, dazwischen "Reim-dich-oder-ich-freß-dich" wie "sabotage ist unsere list gegen dieses system, was uns zerfrißt!!!" Kaum ein Satz, an dessen Ende nicht mindestens ein, meistens drei Ausrufungszeichen stehen. Vom Kampf ist viel die Rede und auch vom "Siegen oder Sterben". Neben so originellen Weisheiten wie "es gibt idioten, noch größere idioten und richter!!!" transportieren diese kurzen Aufschreie zwischen den vermeldeten "riesensauereien" eine beängstigende Ideologie:"wozu gibt es eigentlich gesetze, wenn die repräsentanten dieser gesetze diese mißachten?" - "wir haben keine angst, weil wir im recht sind" - "es gibt kein größeres verbrechen, als diesem staat zu dienen" - "steckt lummer und sein mörderpack in den knast!" -"unsere rache kommt bestimmt und wird furchtbar sein" -"niemand der gefangene unterdrückt bleibt unbestraft!!!" Doch die vernichtende oder befreiende Kraft der Worte hängt davon ab, was sie an Bewußtsein über die Realität transportieren. Die Macht, auch begrifflich Fakten zu schaffen und die Furcht vor der Wahrheit bestimmen den Herrschaftscharakter der Sprache. Daß die Sprache, die Axel der herrschenden entgegensetzte, auf diese fixiert blieb, ist ein besonders hinterhältiger Beleg seiner These. Denn der Ohnmächtige verändert nicht die Begriffe, sondern wirft mit Wörtern, die doch nur die Macht widerspiegeln. Und doch erscheint die sprichwörtliche ohnmächtige Wut, die seine Wortwahl ausdrückt, die Bekennerpose, die die Lächerlichkeit nicht scheut und die ihr Ziel schon dadurch erreicht, daß sie verfolgt wird, ist Ralf-Axel Simons Kampf der Berliner Justiz so gefährlich, daß sie ihrerseits weder Lächerlichkeit noch Kosten und Mühe, nicht einmal die Überschreitung selbst gesetzter Grenzen scheut, um diesen modernen Kohlhaas unschädlich zu machen. Bekenntnis springt den Leser aus jedem Satz an. Die gewollte Übertreibung, die schon sprachlich unzweideutige, platte Diskriminierung von Freund und Feind, der ungeschminkte Appell an Vorurteilsbereitschaft wirkt so unglaubwürdig, künstlich und monoton wie jede Propagandasprache Recht und Gegenrecht, Terror undGegenterror, Verachtung und Gegenverachtung, , Lüge und Gegenlüge, Aug' um Aug', Zahn im Zahn? Worte sind Waffen Er habe eben wenig Platz gehabt, sagt Axel, das zwinge zu Vereinfachung. Er halte keineswegs jeden Schließer für ein Schwein, und auch nicht jeden Gefangenen für einen Engel.Schon gar nicht, seit er den Knast aus der Perspektive des Betroffenen mitbekommt. "Ich wollte eben eine andere Sprache sprechen, die der Betroffenen, eine, die unsere Wut und unsere Inhalte rüberbringt." Er wollte der Sprache der Herrschenden etwas entgegensetzen. "Es gibt keine neutrale Sprache", sagt er, Begriffe drücken nicht nur Machtverhältnisse aus, sie sind selbst Unterdrückungsinstrumente. Zum Beispiel der Begriff "Terrorismus", der ursprünglich eine bestimmte Form staatlicher Herrschaft bezeichnet, hierzulande aber verdreht wurde, um Gegner dieses Staates zu denunzieren. Jedes"terrorurteil", jede "ratte in grau", jeder' "staatsverbrecher" also ein Schlag ins Gesicht der Herrschenden? "als wolle man 'nem partisanen verbieten, eine waffe zu tragen", kommentierte Axel mal im 'Knastblatt' das gegen ihn beantragte Berufsverbot. Gewiß, Worte sind Waffen. Deshalb gibt es Zensur, gibt es Sprachregelungen, gibt es ein "Wörterbuch des Unmenschen", fühlen Politiker sich von "Ratten und Schmeißfliegen" zurecht bedroht. Deshalb hat der Mann, der es fertigbrachte, den Pazifismus für Auschwitz verantwortlich zu machen, die Parole der "Begriffsbesetzung' ausgegeben, deshalb waren die Erfinder von Auschwitz auch die Erfinder eines Propagandaministeriums und deshalb ist es schließlich so entsetzlich, daß es keine Worte gibt, um das zu erfassen, was dort geschah. Staatssch (m) utz Die politische Polizei und Staatsanwaltschaft gehörten jedenfalls zu Axels treuesten Lesern. Wie Sommerschlußverkauf mußte ihnen wohl vorkommen,was sie sich alle 14 Tage über Mittelsmänner beschaffen ließen, eine Fundgrube, ein wahrer Wühltisch strafbarer Inhalte
bot sich dem geschulten Auge dar: Beleidigungen im Dutzend, Verungfimpfungen des Staates und seiner Organe - alles voran des "staatsschmutz" selbst, wie Axel sie nannte - auch als Bedrohung, gar Aufruf zu strafbaren Handlungen, konnte man mit nur durchschnittlich schutziger Phantasie manches interpretieren. Und dann natürlich noch der unvermeidliche Verstoß gegen das Berliner Pressegesetz, den herauszufinden den Beamten der P-Abteilung wohl ein ähnlich sportliches Vergnügen sein mußte - wie ihren Verkehrskollegen der Freak, der eine halbe Minute zu lange im Parkverbot stand. Dabei bekannte sich Axel in jeder Ausgabe in der ihm eigenen Art mit Namen, Adresse und sogar Telefonnummer zu seinen Taten, ein angenehmer Kunde. Dies half weitgehend jene Peinlichkeit vermeiden, zu der der Berliner Staatsschutz sonst oft neigt: Vor lauter Empörung über die Tat und den Angeklagten scheint man es dort zuweilen für überflüssig zu halten, letzterem erste überhaupt nachzuweisen und verlegt sich dann hilfsweise aufs Zutrauen: dem Opfer die Tat und dem Gericht die gerechte Gesinnung. Meistens klappt es ja auch so. Auch eine zweite Peinlichkeit blieb diesmal ausgeschlossen, mit der die Herren Staatsschützer schon öfter zu kämpfen hatten. So bleiben beispielsweise die von ihnen über mehr als vier Wochen gesammelten, als Transparente oft unter Gefahr für Leib und Leben sichergestellten tatsächlichen oder vermeintlichen Beleidigungen, die die Berliner Szene sich für Herrn Reagan ausgedacht hatten, sämtlich ungesühnt, da der Präsident und seine Adniinistration sich nicht bereitfanden, einen Strafantrag zu stellen. Bei "django-hübner und sein bullenpack' konnte solch eine Panne nicht passieren. es gibt eben so'ne und solche Präsidenten. Überhaupt kann, wer beleidigen und den Staat verunglimpfen will, sich kaum ein dankbareres Objekt als Justiz- und Polizeibehörden vornehmen:"L`ètat c`est moi"- je subalterner der Beamte, desto mehr. Und nirgends reagiert man auf das für , Kenner" von Jugend und Szene längst zur Umgangssprache gehörende Vokabular vom "Schweinesystem" und seinem "Scheiß-Staat" noch mit solch selbstverständlicher Humorlosigkeit und dem ganzen Muff einer seit Kaisers, ja Königs Zeiten ungebrochenen Tradition: beleidigt bis auf die Knochen. Axel ist einer der letzten Majestätsbeleidiger der alten Schule. Und die beleidigten Majestäten, amtsdeutsch als "beleidigungsfähiges Köllektiv" bezeichnet, ließen als Ermittler, Verfolger, Ankläger, Richter und Vollstrecker, die sie ja ebenfalls waren (das macht unsere Demokratie ... ), ihrer Wertschätzung für die eigene Würde und Bedeutung freien Lauf. Unverstanden konnte er sich von ihnen wenigstens nicht fühlen. Beleidigung ist ein Delikt, das gemeinhin mit Geldbußen bestraft wird. 210 Tagessätze a´ 60 Mark waren den Gerichten die ersten vier 'Knastblätter`, die sie zu begutachten hatten, wert. Das war 1980. Dann war nach Auffassung des Landgerichts "die Verhängung von Freiheitsstrafen zur Einwirkung auf den Angeklagten unerläßlich, um ihm zu zeigen, daß sich der Rechtsstaat Verunglimpfungen seiner Beamten auf Dauer nicht gefallen und sühnelos geschehen läßt". Was ihm für die folgenden Ausgaben an "Sühne" zugedacht wurde, ist in der Justizgeschichte auf dem Gebiet der Beleidigung wohl Rekord: 16 Monate ohne Bewährung für acht Knastblätter und seine Bitte während des Prozesses, den Gerichtssaal verlassen zu dürfen, da ihm "kotzübel" werde. Letzteres sei eine grobe Beleidigung des Polizeizeugen Schott, auch wenn dieser tatsächlich dem Angeklagten kurze Zeit vorher mit gezogener Waffe bei einer Hausdurchsuchung gegenübergetreten sei. Dieses Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Zwei Drittel der Strafe hat Axel bereits abgesessen. Doch die übliche Aussetzung der Reststrafe lehnte das Gericht mit der überwältigenden Begründung ab, der Angeklagte habe bekundet, er wolle sich auch weiterhin um Gefangene kümmern." Noch nicht rechtskräftig ist das zweite Urteil, das weitere sieben Ausgaben des 'Knastblatts' mit neuen Monaten Haft veranschlagte und gleichzeitig ein zweijähriges Berufsverbot als Verleger, Redakteur und Journalist verhängt. Einen der neun Monate bekam er dafür, daß er gegen ein schon während des Prozesses ausgesprochenes, kurz darauf von der nächsthöheren Instanz freilich wieder aufgehobenes "vorläufiges Berufsverbot" verstoßen habe. Das strafrechtliche Berufsverbot (§70 StGB), das im Gegensatz zum Radikalenerlaß auch offiziell so heißt, wird gegen Straftäter verhängt , bei denen das Gericht davon ausgehen muß, daß sie auch in Zukunft die Ausübung ihres Berufs zur Begehung erheblicher rechtswidriger Taten mißbrauchen werden. Klassische Fälle sind die morphiumsüchtige Krankenschwester oder der zur "Unzucht mit Abhängigen" und Minderjährigen neigende Lehrer. Journalisten, wenigstens soweit es sogenannte "Meinungsäußerungstaten" betrifft, auf diese Weise das Handwerk zu legen, erschien Richtern und Rechtskommentatoren bisher deshalb nicht möglich, weil es sich bei ihrem Gewerbe um ein vom Grundgesetz ausdrücklich geschütztes Grundrecht handelt. (Art.5).

Die Hure der Macht
Zwar sieht das Grundgesetz auch vor, daß Feinde der Verfassung dieses Grundrecht verwirken können, wenn sie es zu deren Bekämpfung mißbrauchen (Art. 18). Doch die übrigens in keinem anderen dernokratischen Land mögliche Feststellung der Verwirkung eines Grundrechts ist ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Eine solche Verwirkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung stand dort bisher zweimal zur Debatte. Gegenüber Verlegern der von ihm verbotenen KPD sprach das Verfassungsgericht ein solches Berufsverbot aus, gegenüber dem Neofaschisten und Herausgeber der 'Nationalzeitung`, Dr. Frey, lehnte es eine derart tief in die Freiheitsrechte unserer Demokratie einschneidende Maßnahme dagegen ab. Im Falle von Ralf-Axel Simon geht es nun allerdings nicht um die staatsrechtlich tiefschürfende Frage, wann unter dem Motto "Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit-"jener eiserne Vorhang fällt, jenseits dessen sich sich unsere "wehrhafte Demokratie" selbst totalitäre Methoden zugesteht. Es geht - im günstigsten Falle - um einen Amtsrichter, der offensichtlich zu der Gruppe von Staatsdienern gehört, die es ablehnen, "den ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm" herumzulaufen. Im ungünstigeren Falle, und man unterschätze weder Kreativität noch Tradition der Moabiter Landrichter, geht es darum, dort anzuknüpfen, wo die Nazis aufgehört haben: die benutzten Berufsverbote als eines der Hauptinstrumente der Reichsschrifttumskammer zur Gleichschaltung der Presselandschaft. Nicht, daß man die FDGO verlassen wolle, aber es geht hier doch um einen Extremfall. Was soll man denn tun bei solch einem notorischen Überzeugungstäter.? Ist ein Berufsverbot da nicht humaner als die Sicherungsverwahrung? Sind solche Argumente dem Staatsanwalt Kalf, der mit solcher Verbissenheit hinter Axels Beleidigungen her ist, zuzutrauen? Irgendetwas muß er sich ja denken, auch bei dem bisher letzten Verfahren, das er gegen ihn anstrengt: daß Axel während der Freistunden einen Schließer als "ldioten" bezeichnet habe, soll demnächst vor ein Schöffengericht behandelt werden.Wenn ich Herm Kalf als Vertreter einer technokratischen Juristengeneration um die 40 bezeichne, die durchaus intelligent und flexibel, sowohl ohne demokratisches Gewisssen als auch unbehelligt von dem diffusen Unbehagen derer, die da bruchlos von gesundem Volksempfinden auf Rechtsstaat umschalten mußten, in die oberen Posten der Rechtspflege zu drängen beginnt, wird es ihm nicht leicht fallen, daraus eine Beleidigung zu machen. Ein "Idiot" wäre eindeutiger. Wenn ich das Recht als eine Hure der Macht bezeichne, wird er dies nicht einmal besonders originell finden. Als Ralf-Axel Simon aber in seinem vorletzten Prozeß eine Richterin als"Nutte" bezeichnete und dies damit begründete, daß sie ihren Kopf an die Herrschenden verkauft habe, waren in den Augen der Richterin Petzold drei Monate fällig. Wegen "menschlicher Unreife und Kulturlosigkeit", aber auch zur "Verteidigung der Rechtsordnung". Im Gespräch drückt auch sie sich klarer aus: "Sowat sagt man nicht!" Ihre Kollegin sei in ihrer Würde als Frau verletzt worden und daß er sie außerdem als "kleine Kanalratte" und "nicht dumme Kuh" bezeichnet hat, war zwar geschickt, aber sie konnte er damit nicht täuschen. Das verstehe ich. Für ein den Fahndungsplakaten des BKA ( ... die zum auskreuzen) nachempfundenes Plakat, auf dem unter der Überschrift "Terroristen" vier Berliner Senatoren für Knastneubauten verantwortlich gemacht werden, die als "Knastghetto", "perfekt funktionierende Knastmaschinerie", "im Bau angelegte psychische Folter", "nach außen hygienisch sauber, das Leben innen klinisch tot" bezeichnet werden, hat sie ihm weitere sechs Monate wegen Verunglimpfung des Staates aufgebrummt "Der Leser soll erkennen, daß die Mißachtung elementarer Menschenrechte von Gefangenen eine legale Grundlage habe, folglich die verantwortlichen Repräsentanten Menschen vernichten könnten" interpretiert sie, und das gibt Knast. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Aus drei und sechs machte sie sieben Monate. Die Begründung für die Strafzumessung ist beachtlich. Zu seinen Ungunsten führt sie an, daß er bisherige Verurteilungen sich "nicht hat zur Warnung dienen lassen und uneinsichtig auf seiner staatsfeindlichen Gesinnung beharrt. Zu seinen Gunsten wurde berücksichtigt, daß er mit derartigen Aktionen die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht anspricht, die verfassungsmäßige Ordnung nicht ernsthaft gefährden kann, sondern nur sein eigenes Leben zerstört. ( ... ) Obwohl der sensible Angeklagte unter dem Strafvollzug leidet, nimmt er sich durch die Ankündigung, den Kampf gegen das'verhaßte System' fortzusetzen und absichtlich gegen Gesetze zu verstoßen, jede Chance, daß ihm eine günstige Sozialprognose gestellt werden könnte. Sein blinder Haß bewirkt einen Realitätsverlust für die eigene Situation und steht einer positiven Entwicklung entgegen." Wie weit ist es bitteschön von hier zur Psychiatrisierung? Nicht diese Wörter "Wissen Sie, mir tut er leid", sagt Frau Petzold nach dem bisher letzten Verfahren. Es wurde eingestellt, mangels Beweise.Herr Simon war plötzlich nicht mehr bereit, sich zu diesem 'Knastblatt' zu bekennen. Damit hatte der gelangweilte Herr Peters vom Staatsschutz nicht gerechnet, wir sprachen bereits davon. "Das ist genau der Stil, wie ich das nun schon seit über 50 Nummern kenne", versucht er das Gericht zu überzeugen. Das'Knastblatt'stammt übrigens tatsächlich nicht von Axel. Er hat Nachfolger gefunden für seine Arbeit - allerdings alternative. "Das sieht heute ganz anders aus", sagt Peters, "da kümmere ich mich ja schon gar nicht mehr drum." Im Gerichtssaal sieht es auch anders aus. Die Luft ist raus, wie man so sagt. Auch die Freunde, die noch kürzlich bei der "Nutte" Beifll klatschten, sind weggeblieben. Außer mir sitzt nur noch Axels Freundin im Zuschauerraum, ihr Baby auf den Knien. Als sie es stillt, "sieht es niemand" und ich denke, mit dem 'Knastblatt' könnte das doch genauso funktionieren. Die Gerichtsschreiberin findet Kinder , "einfach unwiderstehlich", es liegt ein Lächeln in der Sommerluft. Auch sie hat ein Herz für Axel und versteht deshalb gar nicht, wie der sowas machen kann. "Es ist eben doch so: da ist der Kopf und da ist die Wand. Da ist der doch selber schuld! Mir tut er leid. Er sieht auch schon viel schlechter aus als beim letzten Mal." Frau Petzold findet das auch. "Ganz abgemagert sieht er ja schon aus. Ich hab mir heute morgen überlegt, ob ich ihm Apfelsinen mitbringen soll. Der Herr Peters hatte ihm das nämlich schon beim letzten Mal versprochen, aber vergessen. Und ich sage Ihnen, ob Sie es mir glauben oder nich", Frau Petzolds Blick bekommt etwas Heroisches, "wenn ich schon auf Lebenszeit verbeamtet wäre - dann hätt ich es getan!" Ich bin überwältigt. Aber sie ist noch nicht fertig.:"Und Knastarbeit soll er ja ruhig machen, da ist ja wirklich nicht alles Gold, das ist ja wahr. Wenn er nur diese Wörter nicht immer benutzen würde. Er könnte doch auch so bissig schreiben, wegen auch zynisch, er müßte doch nur diese Wörter weglassen. Weil danach liest der Staatsanwalt die Dinger doch nur, die sucht der doch bloß." "Es geht nicht um die Wörter", sagt Axel, "sondern um meine Arbeit. Es geht darum, meinen Widerstand zu kriminalisieren, weil ich gezeigt habe, daß man etwas machen kann gegen den Knast." Und Knast, meint er, sei die "Speerspitze des ganzen Systems". Da hat er ein bißchen Sand ins Getriebe gebracht, darauf ist er stolz, und vielleicht da und dort etwas mehr Menschlichkeit erreicht und etwas weniger Fatalismus, etwas mehr Mut bei diesem und jenem. Er hat recht. Es geht nicht um diese Wörter. Es geht um diese Haltung, der sie als Vehikel dienen.. "Ich will mich so wenig wie möglich verkaufen", nennt Axel das. Ganz ließe sich das nicht vermeiden, es gibt kein richtiges Leben im falschen, aber wenigstens so wenig Kompromisse wie irgend möglich.Bei Axel ist das nicht eine leere Phrase, nicht -wie so oft - der Vorläufer ebenso unduldsam zynischen Bewußtseins. Eben diese Haltung kann eine Justiz, deren Logik es ist, zu brechen was sich nicht beugen läßt, nicht ertragen. Daß sie dabei selbst zur Pose verkommt, liegt wahrscheinlich nicht zuletzt daran, daß sie auch Freunden nur schwer erträglich ist.So macht sie einsam, zur Bewundemng freigegeben. "Uff ene Art is det'n Held, ooch wenn er`n Spinner ist", vertraut mir einer der Schließer an, als ich wieder durch die Hochsicherheitsschleuse nach draußen gehe, "weil der nich uffgibt, bei nüscht." Benny Härlin




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