TAZ 17.1.1985 von Plutonia Plarre

Urteil im Axel Simon-Prozeß

Ein Mensch, „der lästig geworden ist“

„Es war einmal ein Mann, der hatte einen Bart und lange Haare. Er hatte sein Leben der Knastarbeit gewidmet und wurde dafür eingesperrt". Das ist kein Märchen, sondern die einleitenden Worte von Simons Verteidiger. Nach viertägiger Berufungsverhandlung wurde Knastblatt-Axel gestern wieder einmal verurteilt.Das Landgericht fand ihn diverser Beleidigungen und Pressegesetz-Verstöße für schuldig, reduzierte lediglich das Strafmaß der ersten Instanz von 16 auf zehn Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Am 29. Januar wird Axel Simon erstmal entlassen. Er hat zu diesem Zeitpunkt eine andere Freiheitsstrafe von 16 Monaten abgesessen. Gegen das neue Urteil wir er die Revision beantragen.

So mancher hatte Axel früher unterstellt, daß er es regelrecht darauf anlege, einzufahren. Immerhin hatte er mit seinen Knastblättern über 50 Ermittlungsverfahren angehäuft. Wenn am 29. Januar seine erste große Haftstrafe verbüßt ist, steht schon der nächste Packen ins Haus. Bis gestern beschäftigte sich das Landgericht in einer viertägigen Berufungsverhandlung mit zwei Urteilen von sieben und neun Monaten aus erster Instanz. Das Gericht machte gestern von der Möglichkeit Gebrauch einen Teil der Strafe zusammenzufassen und fand Axel nicht in allen Punkten der Beleidigung für schuldig. Zehn Monate sind es trotzdem geworden.

Axel wurde vom Vorsitzenden als ein Angeklagter bezeichnet, der „lästig geworden ist“. Ein Berufsverbot als Verleger und Redakteur wurde jedoch nicht wieder verhängt. Auch, wenn keine günstige Sozialprognose für Simon gestellt werden könne, gefährde er mit seinen Taten nicht die Allgemeinheit.

Axel zog es in diesem Verfahren vor, lieber zu schweigen. Er überließ seinem Anwalt das Ruder, der es brilliant führte. Axel verzichtete sogar auf sein Schlusswort, obwohl er einen anderthalbstündigen Beitrag vorbereitet hate:“ich habe schon wieder Kopfschmerzen , außerdem ist sowieso keiner mehr in der Lage zuzuhören.“ Die vielen Zuhörer, die sich auf den beiden Publikumsbänken drängen mußten, waren nicht aus Solidaritätspflicht gekommen. Es waren Freunde, Eltern und Bekannte aus der Knastarbeit.

Daß dieses Verfahren nicht in der phantastischen Wort- und Paragraphenklauberei eines Staatsanwaltes verödete war Axels Anwalt zu verdanken. Axel hatte in seinen Knastblättern die Repressionsmaßnahmen , die gegen Gefangene verhängt wurden, beschrieben. Zum Beispiel in Knastblatt 50 vom November 1981. Hier ist von „säuischen Methoden des Sicherheitsbeauftragten Astrat“ in der JVA Tegel zu lesen.

Astrat war 1979 nach Tegel gekommen und gründete dort die berühmt-berüchtigte „Sicherheitsgruppe“, von den Gefangenen „GSG9“ oder „Schwarze Garde“ benannt. Ihr gehören inzwischen 37 Beamte an. Sie tragen blaue Overalls und das Emblem SIG. Unter Leitung wurde die JVA mit Draht vermascht, wurden Höfe unterteilt. Die Trupe war für Zellen-Sonderkontrollen zuständig. Nachdem sie dort „eingeritten“ waren, erkannten die Gefangenen ihre Behausung nicht wieder.

Axels Anwalt hatte in diesem Verfahren erfolgreich die Anhörung von Knastinsassen der JVA Tegel beantragt. Es zeigte sich nicht nur durch die Aussagen Klaus Witt und Heinz Böhling, beide Insassen im Hochsicherheitstrakt, Axels Beschreibungen im Knastblatt keine Übertreibungen sind. Böhling erlebte 32 „Zellenfilzungen“. Die Zelle wurde verwüstet, alles von unten nach oben gekehrt, Salz, Zucker , Tabak und Kaffee durcheinander gemischt. Die Sichheitstruppe arbeite aufgrund von Hinweisen oder dem Verdacht auf Drogen, Bargeld und ähnlichem. Sie versuche immer wieder , Gefangene mit dem Verspechen auf Hafterleichterungen zur Spitzelarbeit zu bewegen:Kürzlich hatte sich deshalb ein Insasse der JVA Tegel, Büttner, das leben genommen.

Ein Insasse, Horst Warther, Ex-Redakteur der Gefangenenzeitschrift „Lichtblick“, schilderte dem Gericht ausführlich einen Besuch der Sicherheitstruppe. Im Jahr 1979 hatte er sich seine Zelle liebevoll eingerichtet. 2500 Mark inverstiert, um als Langstrafer die Zeit halbwegs ertragen zu können. Nach einem „Besuch“ der Truppe war die Bildtapete zerstört, Gardinen und Fußboden auseinandergenommen, Klo und Waschbecken ausgehängt. Die selbstgebaute Schrankwand wurde ofenklein zehackt. Der angegebene Verdacht auf Trips oder Schnaps bestätigte sich nicht. Warther fand seine „Habe“ später in 13 Müllsacken verpackt, Zucker,Kleider, Schallplatten und Sirup waren vermischt. Nach Monaten des „Kahlschlags“, nichtspersönliches auf der Zelle, erhielt er endlich seine Sachen zurück. Seine Fotos von der verwüsteten Zelle wurden damals im „Lichtblick“ veröffentlicht.

Der grauhaarige, eisige Kälte verströmende Herr Astrat ist heute Sicherheitsbeauftragter in Moabti und stellvertretender Anstaltsleiter. Dreist und selbstsicher wie er die Vorwürfe der Zellenverwüstungen vor Gericht von sich :Die Gefangenen würden ihre Zellen nach dem Besuch der Sicherheitstruppe selbst verwüsten, um dies den Beamten anzulasten.

Für den Staatsanwalt war es „selbstverständlich, daß Zellen nach Durchsuchungen unbewohnbar sind“. Wenn er in diesem Plädoyer von „klar Schiff“ sprach, meinte er immer den „Kahlschlag“. Seine Wunschliste sah eine Bestrafung von 42 Monaten für Axels Publikationen und Äußerungen vor. Auch ein zweijähriges Berufsverbot als Verleger und Journalist enthielt sein Forderungskatalog.

Ein Schreibverbot für Axel käme einem Liebesverbot gleich , meinte Axels Anwalt Ströbele. Axel sei von Beruf vielleicht „Heiliger“ oder „Zeitungsausträger“ aber nicht Verleger. Ströbele wandelte den Text eines Plakates , welches ebenfalls strafrechtlich verfolgt wurde, in die eingangs zitierte „Geschichte des Mannes mit dem Bart“ um. Der eigentliche Text geht anders „Damit wir im Jahr 2000 unseren Kindern nicht erzählen müssen, wir haben von diesen Knasthorrorbauten nichts gewußt“. Axel wollte aufrütteln. Mit seinen Publikationen versuche er , die Interessen derer aufzugreifen, die der Knastrepression ausgesetzt sind. Dafür muss er brummen.






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