"Michael Kohlhaas" Was ist gerecht? Er engagierte sich für Gefangene und kam selber ins Gefängnis von Michael Sontheimer aus:DIE ZEIT - Nr. 43-19 Oktober 1984

Die Sicherheit, die man Ralf-Axel Simon seit knapp einem Jahr angedeihen läßt, kann sich wirklich sehen lassen:Fünf Panzerglastüren, die sich automatisch öffnen und schließen, zwei Drehkreuze, penibles Abtasten und noch mal drei Stahltüren, dann muß ich vor einer imposanten Gittertür warten, einer mit dicken Eisenstäben wie die eines Raubtierkäfigs. Hinter ihr sind allerdings keine Löwen und Tiger untergebracht, sondern Männer, die unter dem Verdacht stehen, Strattaten begangen zu haben, Untersuchungshäftlinge der Untersuchungs-Haftanstalt Berlin-Moabit. Ungefähr 140 Männer sind in diesem Flügel des über hundert Jahre alten Gemäuers in vier Stockwerken übereinandergeschachtelt. Ihre Zellen gehen von Eisengalerien ab, zischen denen in jedem Stockwerk stabile Maschendrahtgitter gespannt sind. So einfach soll sich hier keiner aus der Verantwortung stehlen. Am anderen Ende der langegezogenen Halle wird Ralf-Axel Simon hereingeführt. Mit einem wippenden, geradezu fröhlichen Gang kommt er neben einem Schließer herübergeschlendert. Er trägt blaue Arbeitskleidung, lange lockige Haare rahmen ein zartes Gesicht ein. Daß er ein gefährlicher, notorischer Straftäter sein soll, kommt mir völlig absurd vor, er sieht aus wie ein friedfertiger Landkommunarde. Der Schließer führt uns in einen kleinen Raum, dessen Einrichtung aus einem Waschbecken, einem Stück Seife, vier Stühlen, einem Tisch und einer Fischdose als Aschenbecher besteht. Nachdem Ralf-Axel mir bedeutet hat, daß die Gespräche im Raum abgehört werden, beginnt er seine Geschichte zu erzählen:"Am 16. August.letzten Jahres bin ich zu 16 Monaten verurteilt worden, wegen achtfacher Beleidigung übler Nachrede und Auffoderung zu Straftaten. Obwohl ich nicht vorbestraft war, habe ich keine Bewährung bekommen, weil ich nach der Meinung des Gerichts ein Überzeugungstäter bin. Seit dem 16. September bin ich hier, immer in Haus 1, und das heißt jeden Tag 23 Stunden alleine auf der Zelle, 23 Stunden auf acht Quadratmetern. Die ersten drei Monate war ich in Totalisolation, hatte auch Einzelfreistunde. Seit ungefähr einem halben Jahr habe ich Kopfschmerzen und kann deshalb nicht mehr richtig lesen. Schreiben geht gerade noch, aber ich muß mich immer hinlegen. Die Kopfschmerzen, das sagen sie dir hier, die wären normal, das käme eben von den 23 Stunden Einschluß." Die Worte sprudeln regelrecht aus ihm heraus, er spricht mit einer Präsens und Intensitität eines nach Kontakt mit Menschen Hungernden. Von seinen Eltern erzählt er, die regelmäßig aus Osnabrück anreisen, um ihn zu besuchen und ihn rückhaltlos unterstützen, und davon, wie er 1972 nach Berlin kam und sich vorgenommen hatte, nicht so einer zu werden wie sein Großvater, der sein ganzes Leben lang als kleiner Beamter gebuckelt hatte. Der Wille zum aufrechten Gang kann teuer zu stehen kommen, und daß das Gericht den 31 jährigen als Überzeugungstäter eisstufte, ist so falsch nicht. In das Gefängsnis hat ihn seine Überzeugung gebracht, die Verhältnisse in Gefängsnissen seien so unmenschlich, daß es seine Aufgabe, ja seine Pflicht sei, diese Verhältnisse zu bekämpfen. "Ich habe schon viele Leute erlebt, die sich für Gefangene engagiert haben", sagt sein Anwalt Christian Ströbele, "aber in einem solchen Maße, das habe ich noch nicht erlebt." Jahrelang ist Ralf-Axel Simon in dieser Mission restlos aufgegangen, unterstützte er Gefangene und prangerte das System des Strafvollzugs an. Alle vierzehn Tage produzierte er mit sporadischer Unterstützung von Gesinnungsgenossen ein beidseitig bedrucktes DIN-A4-Papier mit dem Titel Knastblatt. Dieser mit eigenen Informationen angereicherte Pressespiegel zum Thema Justiz und Strafvollzug, der in verschiedene Alternativzeitungen eingelegt wurde und den er selbst verteilte, brachte ihm in der Kreuzberger Szene den Spitznamen "Knastblattaxel" und im Kriminalgericht Moabit bislang 32 Monate ein. Mehrere Anklagen stehen noch aus. Darüber hinaus wurde es ihm in seinem ersten Prozeß für zwei Jahre untersagt, den Beruf eines Verlegers, Redakteurs und Journalisten auszuüben. Aber da er weiterhin sein Knastblatt produzierte, wurde er bei den folgenden zwei Verhandlungen auch noch wegen des Verstoßes gegen das Berufsverbot verurteilt. "Dabei habe ich mich nie als Journalisten verstanden", sagt er, "sondern als jemand, der politische Arbeit macht. Das Knastblatt war eher ein Abfallprodukt dieser Arbeit. Ich habe in den letzten sieben Jahren, bevor ich in den Knast kam, immer nur vier Stunden geschlafen und das auch noch in Schichten. Den Rest der Zeit habe ich Zeitungen verkauft und fast alles Geld, das ich dabei verdient habe, für Gefangene ausgegeben. Eine Freundin von mir hatte öfters den P.P.Zahl besucht, und darüber bin ich zur Roten Hilfe gekommen, so fing das eigentlich an. Irgendwann bin ich dann observiert worden, der Staatsschutz dachte nämlich, da müssen noch mehr Leute dahinterstecken, so viel kann ein einzelner gar nicht machen." Sein Engagement für Gefangene war in einem maße selbstlos, daß es ihm auch bei Freunden und Gesinnungsgenossen nicht nur Anerkennung und den Ruf eines "Engels der Gefangenen" einbrachte, sondern auch verständnisloses Kopfschütteln provozierte. Ein Mensch, der sein ganzes Leben der Politik und der Solidarität unterordnet, hat etwas ebenso Bedrohliches wie Mitleiderweckendes. Doch so schlüssig ist dasBild des Märtyrer auch nicht. Bis Ralf-Axel ins Gefängnis kam, spielte er in der Schach-Bundesliga, und zur Zeit arbeitet er die aktuelle Fachliteratur auf, um, wenn er irgendwann entlassen werden sollte, sein Geld als Schach-Profi zu verdienen. Ein sensibler Mensch mit einem ungeheuren Gerechtigkeitsempfinden sitzt mir da gegenüber, doch seine behutsame Art steht in einem krassen Gegensatz zu dem rüden Ton, den er im Knastblatt angeschlagen hat. Darin hat er eine Sprache gepflegt, die zwar in der Kreuzberger Szene und unter den meisten Gefangenen geläufig, doch in den Augen jedes Richters strafwürdig ist. Von "greuen Ratten mit Schließermacht", "Justizschweinen", "Bullen" oder "Schließerschweinen" war da zu lesen. "Ich habe Partei ergriffen", sagt er dazu, "aber ich habe es nie idealisiert, daß die Schließer die Bösen und die Gefangenen die Guten seien." Abgesehen davon, daß seine Post vom Sicherheitsbüro kontrolliert wird, kann er sich auch nicht über Schikanen beklagen, sicher gäbe es üble Schließer, aber auch einige, mit denen er sehr gut auskäme. Die harten Worte in seinem Knastblatt erklärt er nicht nur damit, daß er Wut gehabt hätte, sondern auch damit, daß, da er nur Kurzmeldungen zusammengetragen habe, er eben solche Worte benutzen mußte, um eine Tendenz reinzubringen. Daß Ralf-Axel Simons Motive moralischer Natur sind, darauf deutet auch etwas hin, worüber er heute nicht mehr so gerne spricht:Bis Mitte der 70er Jahre hat er als evangelischer Religionslehrer an einer Grundschule unterrichtet.Zwar sagt er:"Ich habe nie besonders viel von Theologie gehalten, denn selbst wenn es einen Gott geben sollte, müssen wir uns helfen", doch vor Gericht praktizierte er ein rigoroses Bekennertum. "Ich will nicht taktieren" , sagt er immer wieder und erzählt davon, wie er, nachdem man ihm das Lehren untersagt hatte - er hatte mit seinen Schülern das italienische Arbeiterlied "Avanti Popolo" gesungen und war bei einer Diskussion über die Entführung von Peter Lorenz zu dem Schluß gekommen, die Bewegung 2.Juni hätte aus selbstlosen Motiven gehandelt - , zum letzten Mal in das Lehrerzimmer gekommen sei:"Da haben mich die Kollegen, auch die, die mich vorher unterstützt und geduzt hatten, nicht einmal mehr gegrüßt, weil sie Angst hatten. Soweit soll es mit mir nicht kommen." Seine tiefe Angst davor, seine Überzeugung zu verleugnen und der Glaube, er würde ohnehin hart verurteilt werden, hätten es wohl auch unmöglich gemacht, daß einer seiner Richter ihm aus der Souveränität seiner Macht heraus eine Brücke hätte schlagen können. Dies ist freilich eine unnütze Spekulation, denn seine Richter verurteilten ihn gerade deshalb so gnadenlos, weil er es gewagt hatte, ihren eigenen Berufsstand zu beleidigen. Der Prozeß, in dem Ralf-Axel Simon von einem unerbitterlichen Kritiker der Justiz zu einem Opfer unerbitterlicher Justiz wurde, hat deshalb etwas Zwansläufiges, er funktionierte wie eine self-full-filling prophecy. "Nutte im übertragenden Sinne", hatte er eine Richterin tituliert, weil sie sich an Justiz verkaufe, die nicht Gerechtigkeit und Menschlichkeit schaffe, sondern dafür sorge, daß die Reichen reicher und die Armen ärmer würden. "Hier sitzt einer, der bei Aldi für 10 Mark 75 geklaut hat, zehn Monate und Garski, der Millionen veruntreut hat, wird nach zwei Monaten freigelassen." "Ist das gerecht?" fragt er mich. "Such is life", antworte ich. Er ist ein Michael Kohlhaas, einer, der den Schmerz nicht erträgt, "die Welt in einer so ungeheuren Unordnung zu erblicken". Mich schmerzt es erst, als ich wieder auf der Straße in der Sonne stehe und weiß, daß er jetzt wieder in seiner Zelle hockt. Noch ein, zwei oder sogar drei Jahre - für gedruckte Worte. Michael Sontheimer




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