aus:Anne Alex-Dietrich Kalkan (HG.) "ausgesteuert-ausgegrenzt ...angeblich asozial"
AG Spag 1. Auflage 2009 ISBN 978-3-930830-56-5

Ich wollte immer Sand im Getriebe der Macht sein ... (Rede von Ralf-Axel Simon zur Preisverleihung in Dortmund am 8.6.2008.Volländiger Titel:ich wollte immer Sand im Getriebe der Macht sein ...jetzt bin ich in den Augen des Staates ein Terrorist , in den Augen meiner Freunde ein Narr - umgekehrt wäre es mir manchmal lieber!)

Mit 22 Jahren trennte ich mich von diesem Staat einvernehmlich: die Behörde beantwortete meine Zweifel an der Lernfabrik Schule -die Lernen vom Erleben trennt, um in Herschaft einzuüben-mit Berufsverbot. wir waren damals viele,die leben wollten! mit 29 Jahren verhängte die Strafjustiz gegen mich Berufsverbot als Journalist - ich drehte mich um, denn ein Journalist beschreibt die Welt- ich wollte sie verändern. Meinen 30. Geburtstag feierte ich in strenger Einzelhaft. -28 Monate Knast für Worte war mein Triumph über diese Schein-Demokratie und mein Entlassungsschein mein Diplom für mein ganz persönliches Examen. Mit 37 Jahren bekam ich für die gleichen Worte, zu denen mich Justizia -im Namen des Volkes- zu 18 Monaten Einzelhaft verdonnert hatte, diesmal -im Namen des Literaturvolkes- den Ingeborg Drewitz Literaturpreis für Gefangene. Ich musste meinem Freund P.P. Zahl zustimmen: das sollen die Völker unter sich ausmachen, und mich da rauslassen! mit 41 Jahren, beim zweiten Literaturpreis, erhielten meine Schmerzen, dadurch, daß ich sie einer größeren Öffentlichkeit mitteilen konnte nachträglich einen Sinn. mit 47 jahren, beim dritten mal - ich war gerade auf dem weg zum zug zur preisverleihung- da bettelt jemand an der u-bahn ?haste mal ne`Mark oder nen Euroscheck?? er sah meine kaputten hosen und sagte mitleidig:?ich geb´dir nen Bier aus!? Ich kam spät aber nicht zu spät zur Preisverleihung, aber dieses Bier lang war für mich eine wichtige Auszeit: abgesehen davon , dass ich mich angenommen fühlte, ohne dass ich gleich die scheere im kopf hatte:vor welchen karren will er mich spannen,welchen karren will ich ziehen, so wurde plötzlich die Erinnerung aus der Einzelhaft präsent. Damals hatte ich ein gedicht in die hände bekommen:ich möchte so gern ein narr sein, dann könnte ich der welt sagen, was ich von ihr halte, keiner würde sich an seine eigene nase fassen, jeder würde nur sagen ein narr ein narr, welch ein vergnügen, und so würden sie sich selbst belügen?. damals, wo jedes wort gegen die herschenden mit zusatzknast bestraft wurde (ich bekam allein wegen nichtaufstehens vor gericht 2 monate Haft) damals war dieses gedicht für mich ein traum. Heute, wo die Faschisten wieder aus ihren löchern herauskriechen und jugendlichen Emigranten , die ihr Trauma aus den Kriegsgebieten mitbringen, die Zigarette aus dem maul schlagen , in dem wiedererstarkten selbstbewustsein für die Einhaltung der neuen weltordnung zu sorgen, heute , wo eine öffentliche Diskussion um eine Justiz, die nicht straft um zu rächen, sondern maßnahmen ergreift, um verhalten zu verändern, nicht mehr möglich ist, heute habe ich doch wenigstens eins erreicht:ich bin ein narr! Das macht mich zufrieden - nicht glücklich. der dritte Literaturpreis wurde eine genugtuende Kühlung meiner zum teil schon vernarbten Wunden. Heute mit 55 Jahren beim vierten Literaturpreis, erinnere ich mich an den gutgemeinten Rat meiner Freunde : ?du mußt deinen Kummer ertränken!? Rieten sie mir vor meiner Haft. Seit meiner Haft habe ich nur noch ein Problem:wie bekomme ich die Verantwortlichen ins Wasser ! und wenn mich heutzutage zeitungen politiker oder auch knastdirektoren beglückwünschen , dann beruhige ich mich damit, daß alle welt nur höflich sein will, und sie ganz sicher nicht mich als person meinen. mit dem gefühl, wenn ich von den herschenden gelobt werde, sofort daran zu denken:was hast du wieder falsch gemacht, damit lerne ich zu leben. zumal literatur für mich so eine art menschliche oase in einer welt war wo eigentlich der mensch nur die funktion hat träger der gewinnmaximierung zu sein. mein selbstverständnis kam arg ins wanken, als mein ehemaliger mithäftling peter jürgen boock, der mit seinem roman der abgang in sensibler und beeindruckender art und weise die hintergründe des bewaffneten kampfes beschrieb. als dieser mensch, mit den wölfen heulte und seine ehemaligen weggenossen aufs schwerste belastete. wenn jemand im knast ist, also in einer absolut erpressbaren situation , habe ich ein gewisses verständnis, aber wenn jemand schon entlassen ist und die aussagen macht, um noch etwas judasgeld abzustauben , kann ich nur mit brechts worten antworten:was ist das für eine zeit, wo man zum literaten benannt sich schämend abwenden muß, weil diese gesellschaft nur die leistung würdigt, wie sich jemand verhält ist zweitrangig und wird immer wieder durch die leistung entschuldigt.ich hatte schon in jungen jahren aufgegeben, nach einer gerechtigkeit zu suchen, weil der gerechtigtkeitsbegriff zufällige erfahrungen als voraussetzung hat und die interessen verschleiert, so daß sich jeder mensch hinter diesem begriff verstecken kann. schon karl kraus hatte festgestellt:diese gesetze haben keinen deut gerechtigkeit gebracht!.ein kleiner seitenhieb an den schrimherrn und unseren lieblingsstrafrechtler prof. müller-dietz:ich habe sicher großen respekt vor ihrem lebenswerk, aber sie müssen sich dem vorwurf stellen, daß sie generationen von juristen das alibi gegeben haben in diesem staat zu funktionieren. allein das wort humaner strafvollzug, ist der etikettenschwindel des jahrhunderts. Denn mit strafvollzug meint jeder freiheitsentzug , und freiheitsentzug ist nur ein anderes wort für die traumatisierung von menschen, mit dem ziel die identität zu brechen, durch das wort human soll folter den anschein einer legalisierung bekommen, damit soll folter schwerer angreifbar gemacht werden. Heute wird den gefangenen menschen nicht mehr das ohr abgeschnitten oder das auge ausgestochen, es wird ihnen aber die möglichkeit genommen mit den augen etwas zu sehen oder mit den ohren etwas zu hören, so daß diese organe gezielt verkümmern. Amnesty international hat dies als weisse folter gebrandmarkt. knast bleibt in allen ländern der welt ein traumatisches erlebnis, die folterinstrumente wurden sauberer und damit unangreifbarer. Ich habe oft mit zukünftigen richtern , staatsanwälten, anwälten an der uni über die tatsache diskutiert , daß alle jurtisten zu aller zeit - perverserweise immer im namen des volkes - ihre verbrechen an der menschheit verübt haben, es wurde mir als letztes argument ihr kommentar zum strafvollzugsgestz entgegengeschleudert. Daß das strafvollzugsgesetz eigentlich kein gesetz, sondern nur eine auf papier gebrachte wunschvorstellung ist, machen die äußerungen der strafvollzugsrichter deutlich:die gesetzlich vorgeschiebene aussetzung meiner haftstrafe nach verbüßung von zwei dritteln wurde vom gericht abgelehnt mit der überwältigenden begründung:ich hätte in der mündlichen verhandlung geäußert, ich wolle weiterhin gefangene betreuen, deshalb sei eine resozialisierung nicht möglich ! Daß der strafvollzugsrichter dies sogar schriftlich so formulierte, zeigt, welche unangreifbare positon er hat. Zu einem kollegen von mir hat er gesagt:?sie wollen also entlassen werden? sie sehen doch schon aus, wie ein verbrecher!?obwohl dies eine große tageszeitung zitiert hat, und dem nicht öffentlich widersprochen wurde, hatte es für den strafvollzugsrichter keinerlei konsequenzen. ich habe vor ihrem engagement im strafvollzug herr müller dietz sicher eine menschliche hochachtung, ich wäre auch jederzeit bereit mit ihnen oder jedem anderen dafür zu kämpfen die hölle etwas erträglicher zu machen, und ich bin auch willens für die zeit jedes aktionsbündnisses mich auf die gemeinsamkeiten zu konzentrieren und nicht die unterschiede zu diskutieren. aber jeder, der betroffen ist, wird nicht das lebensziel haben, in der hölle kleine asbestwände zu ziehen. Das ist übrigends auch der grund warum die knastbewegung seit jahrzehnten fordert, daß menschen, die über tod und leben entscheiden, wie die strafrichter wenigstens ein jahr knasterfahrung vorzuweisen hätten, vielleicht würden dann die strafrichter ein gefühl für ihr handeln entwickeln und sähen einen fall nicht nur als eine intellektuelle herausforderung..dann wäre es für mich auch ein zumindest anerkannter beruf. ich muss sogar noch weiter gehen als karl kraus: diese gesetze dienen als gesamtpaket dazu die armen immer ärmer und die reichen immer reicher zu machen (der vergewaltiger wird langsam gehängt damit die pornoindustrie in ruhe seine geschäfte machen kann). Über die tatsache, dass bei den juristen und bei den theologen an den unibibliotheken am meisten geklaut wird, gibt es genug statistiken es zeigt zumindest, daß die theologen und juristen die eigentlichen kriminellen sind,nur schade, daß sie sich nicht dazu bekennen, und stattdessen wie die wahnwitzigen gegen schwarzfahrer und mundräuber wettern, aber gleichzeitig die koffer voller geld nach lichtenstein bringen . Da halte ich mich doch lieber an meinen alten freund hans, der gelernter bankräuber ist. ich freue mich jedes mal , wenn ihm ein coup gelingt und das geld auf mehrere schultern verteilt wird , denn der erfolgsweg einer jeden bank ist mit leichen gepflastert , jede bank ist ein mörderisches unternehmen. auch wenn die zwanzig jahre knast, die mein freund mittlerweile nur dafür abgemacht hat, für mich ein zu hoher preis wäre -hans hat es für sein leben akzeptiert.trotz meiner staatsverachtenden gesinnung bin ich immerhin 55 jahre geworden- es gibt kaum ein land, was mich nicht hingerichtet hätte. da ich im vorfeld bereit war diesen preis zu zahlen, genieße ich jetzt meine kür , ich vergesse aber auch nicht in solch einem staat zu leben, der etliche meiner freunde und weggenossen bei der festnahme einfach abgeschossen, oder im knast begraben hat. Schon denker hatte 1919 bei liebknechts verhaftung festgestellt, was auch heute noch seine uneingeschränkte gültigkeit besitzt:?eigentlich ist das gefängnis der einzige aufenthalt für anständige leute?.aber hier mache ich durchaus einen unterschied zum faschismus, obwohl tucholski richtig festgestellt hat, daß demokratie und faschismus zwei seiten einer medailie sind:der faschismus vernichtet andersdenkende, die demokratie ( was ja streng genommen bei uns keine demokratie ist,denn wir entscheiden ja nicht von unten nach oben, sondern wir haben nur die wahl unsere schlächter selber zu wählen-mit dem süßlichen nebengeschmack, daß, wenn das volk richtig wählen würde, diese herschaftsform durch eine andere ersetzt werden würde) die demokratie versucht mit aller gewalt die andersdenkenden, die die profitmaximierung hemmen, zu brechen und nimmt dabei billigend in kauf die menschen zu töten. erst, wenn die andersdenkenden sich nicht einmal in ihre staatstragende rolle als abschreckendes beispiel einfügen, werden sie vom system zum abschuss freigegen, wie am beispiel ulrike meinhoffs und der raf deutlich wird.wenn ich heute eine leseung mache (da hat sich viel im vergleich zu früher verändert.- früher gab es öfters diese anfragen sich mit knast auseinanderzusetzen), sind es meist gruppen, die einer minderheit angehören und die angst haben, selbst betroffen zu sein. dementsprechend wollen sie nur moralische unterstützung, daß sie nicht in den knast gehören, aber für die anderen wird knast gefordert. ich fühle mich sehr an ein gedicht von martin niemöller erinnert:als die herschenden die drogenkranken holten,habe ich geschwiegen ich war ja nicht drogenabhängig , als sie die ladendiebe holten, habe ich geschweigen, ich hatte ja nur die steuer betrogen, und das war nicht einmal herausgekommenals sie mich holten, gab es keinen mehr, der dagegen noch hätte protestieren können!und es zeigt mir, das sich in deutschland nicht so viel verändert hat, auch heute würde die bevölkerung einen faschismus tragen der einzige unterschied.es gibt keine wirtschafliche notwendigkeit einen faschismus von oben zu installieren, so ernüchternd die erste erkenntnis ist, desto mehr beruhigt die zweite.trotzalledem freue ich mich heute hier zu sein. im letzten jahr bin ich nach fünjähriger arbeit mit meiner mannschaft im fernschach champions league sieger geworden, das ist quasi eine weltmeisterschaft. das hat mich befriedigt, weil eine lange arbeit abgeschlossen war. heute hier zu sein ist mir dagegen ein ehre.schließlich sind wir alle mal vor vierzig jahren ausgezogen unter dem motto:es gibt keinen sinn menschen in schließfächer zu sperren, um sie als zeitbomben zu entlassen. dieses schiff war ungeheuren orkanen ausgesetzt, manche mitglieder der besatzung sind einfach über bord gegangen, andere haben sich an land absetzen lassen, weil sie diesen stress nicht mehr ausgehalten haben. aber heute sind alle ,die dieses schiff noch fahrtüchtig halten, hier, obwohl das motto unserer fahne so verblichen ist, daß es nirgendwo mehr diskutiert werden kann, nicht einmal bei den grünen. ich möchte das ein wenig konkreter machen: ich bewundere regina merkel von der gefangeneninitiatve dortmund, sie hat mit ihrer organisation etwas erreicht, was ich damals nicht für möglich gehalten hätte. ich bewundere prof. johannes feest vom strafvollzugsarchiv in bremen, der uns allen immer wieder über diese jahrzehnte mit seinen rechtlichen hinweisen ganz viel mut und seiner menschlichen art ganz viel kraft gegeben hat. und ich bewundere prof. helmut koch und nicola keßler, die mit ihrer sammelstelle für gefangenenliteratur, den geschundenen dieser kultur ein sprachrohr verschafft haben. etwas privates möchte ich noch hinzuzufügen:ich freue mich daß meine mutter und meine schwester, mich nicht nur im knast mit ganzer kraft unterstützten, sondern auch heute hier sind,neu ergänzt durch meinen adoptivsohn .es ist schön, daß es euch alle gibt!euch alle hier zu sehen ist wie meine eigene beerdigung zu feiern , an der ich selbst teilnehmen darf , wo nicht über mich geredet wird, sondern mit mir über mein leben diskutiert wird - was besseres kann mir nicht mehr passieren!! denn es wird unser lachen sein, was die herrschenden begräbt.(rede von ralf-axel simon zur preisverleihung in dortmund am 8.6.2008)

Ralf-Axel Simon hat den Beruf "Lehrer" erlernt und wollte als jounalist tätig sein.Sein ausgeübter Beruf ist Anachist. Er wurde geboren im deutschen Herbst 1977, denn von da an lernte er politisch zu denken über einen solchen Staat, der Menschenleben dem profit unterordnet .Wegen der Beleidigung von Polizei und Justiz zu 28 Monaten Knst verurteilt zu werden, empfindet er als eine menschliche Auszeichnung

zuerst abgedruckt Dezember 2008 in der Sonderausgabe vom telegraph Heft 116/117




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