März 1995 in der Nikolaischule in Leipzig:Die Schi



 



Der Trägerkreis des Ingeborg-Drewitz-Literaturpre

 



Die Rede von mir bei der Preisverleihung:

"eigentlich ist heute das gefängnis der einzige aufenthalt für anständige leute!" hat schon denker 1916, anläßlich liebknechts verhaftung, festgestellt.

in der tat werden in ökonomischen krisenzeiten immer mehr haftplätze gebaut. die geschichte hat gezeigt, daß vorhandene haftplätze auch belegt werden. und sei es mit solchen menschen,wie meinem zellennachbarn: er hatte den kaufhauskonzern karstadt um 1,95 dm erleichtert und mußte dafür ein halbes jahr untersuchungshaft absitzen.

in solchen zeiten, in denen die herrschenden die mauern immer höher planen, wächst unsere aufgabe die mauern brüchig zu schreiben. dieses buch ist sicher nicht der tropfen, der das faß zum überlaufen bringen kann, aber hoffentlich einer, der dieses faß mitfüllt.

bei allen meinen texten sollte man/frau berücksichtigen,daß ich ein priviligierter gefangener war:ich hatte viele liebe menschen, die meinen weg begleiteten. andere gefangene werden in diesem hoffnungslosen unterfangen - die seele nicht von den sekündlichen,stündlichen,jahre-langen demütigungen auffressen zu lassen-alleine gelassen.

schreiben war für mich auch im knast ein ventil,ein wahnsinnig wichtiges ventil, bekamen doch schmerzen, indem ich sie mitteilte, einen sinn-und dieser ingeborg-drewitz-literatur-preis ist im nachhinein eine genugtuende kühlung meiner zum teil schon vernarbten wunden.

meine texte gehen in zwei richtungen:

1.ich klage an, weil es keine rechtfertigung gibt menschen, wegen welchen deliktes auch immer, in käfige zu sperren, um sie als zeitbomben zu entlassen. ich kämpfe für eine justiz, die maßnahmen ergreift, um verhalten zu verändern, nicht hinrichtet um zu rächen. und ich kämpfe für gesetze, die nicht den armen mann hängen, damit der reiche im weißen hemd besser seine geschäfte machen kann.

2. ich möchte euch, denen ich die erfahrung knast voraus habe, vermitteln, daß es ein leben mit dieser alltäglichen folter knast gibt. und ich möchte euch beweisen, daß es leichter ist gegen die gitter in der zelle anzugehen, als die tief verankerten gitter in uns drin zu entwurzeln. also:lieber knast riskieren, als alles in sich hineinfressen und sich mit einer krankheit begnügen.

"diese gesetze haben der menschheit keinen deut gerechtigkeit gebracht", lebensweisheiten von dem schriftsteller karl krauss, die heute ihre gültigkeit nicht verloren haben, deshalb zeigt zivilcourage: brecht diese gesetze wo ihr sie trefft - gesetzlose aller länder vereinigt euch!

 

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mein Text:

 

 

"die eigene Pflicht tut man nicht, damit einem jemand dankbar ist, man tut sie aus Prinzip, für sich selbst für die eigene Würde"Alecros Panagulis (griechischer Anarchist)

 



SZENEN EINER EINZELHAFT

für Horst Rackow, der sich nach 2 Jahren Einzelhaft erhängte

dienstag 4.OKTOBER

die weichen sind gestellt:an meiner zellentür steht einzel-hofgang und von hand zu hand - ich werde keinen gefangenen mehr sehen, nicht im warteraum des arztes, nicht in der besucher-zelle -nirgendwo. auch der liebe gott ist für mich nicht mehr zu sprechen (ausgleichende gerechtigkeit:er hat mich schon lange nicht mehr erreichen können).

der grund:bei der eingangsuntersuchung wollte ich mich nicht der strahlenbelastung einer lungen-röntgung unterziehen, sondern bestand auf den von der weltgesundheitsorganisation empfohlenen tuberkulintest.

ob es sich lohnt? wäre es nicht klüger, sich solange am ufer festzuhalten, bis der strom nachläßt?? ich muß dieser anstaltsordnung etwas entgegen-setzen!!

 

mittwoch 5.oktober

wenn der haß nur einer der schließer überquillt, nachts, wenn ich schlafe, ob sie anschließend rausbekommen wer es war?

ich habe mit mir einen vertrag geschlossen:wenn alles zu schlimm wird (diese freiheit möchte ich haben!) werde ich mir die pulsadern aufschneiden (ein mitgefangener hat mir erzählt,
daß so eine entspannte müdigkeit entsteht, wenn das blut herausläuft!). aber zwischen entschluß und ausführung müssen mindestens zwei wochen liegen - versprochen!

 

donnerstag 6. oktober

die ratten in grau zerwühlen während meiner freistunde meine zelle. das bett steht mitten im raum, das laken abgezogen, die matratze aufgewühlt, die sachen von meinem tisch verstreut und alles aus dem schrank heraus-gewühlt. sogar mein selbstgebautes schachspiel liegt auf dem boden. das papier , auf dem ich mir das brett aufgemalt habe, ist von fußabdrücken übersät. die schwarzen figuren (aus der rinde des brotes) und die weißen figuren (aus dem weichbrot) liegen im ganzen raum zerstreut.

 

freitag 7. oktober

ich rede mit meinem neuen nachbarn fast zwei stunden am fenster - es tut gut menschen zu treffen. als alter knasthase kann er mir viele tricks verraten.

 

montag 10. oktober

die gesamte post wird vom sicherheitsbüro geöffnet und mit einer extra verschlußmarke verklebt. ich bekomme die briefe bis zu zwei wochen verspätet - manche auch gar nicht!

 

dienstag 11. oktober

der hofarbeiter, mit dem ich vorgestern während der freistunde nur kurz redete, wurde anschließend vom vollzugsdienstleiter
verwarnt. wenn er noch einmal mit mir spricht, wird er seinen job los, dann hängt er wieder 23 stunden auf der zelle. (hat mir micha, mein zellenachbar,erzählt) zum glück ist das hier noch ein alter knast - in den neuen haben sie sägezahnfassaden eingebaut, da ist das sprechen am fenster unmöglich.

 

mittwoch 12. oktober

morgens beim aufschluß beantrage ich gallekost mit dem anstaltseigenen formular, vormelder genannt. "sie müssen ein arztformular nehmen!", gibt er mir den vormelder zurück. den kann ich nun frühestens morgen rausgeben, für heute ist der abgabetermin verstrichen.

samstag 15. oktober

beim abendbrot-fassen (abendbrot gibt es immer um 15 uhr) sage ich "guten abend". eine halbe minute später höre ich: "oh, entschuldigung, ich war in gedanken". es ist das erste mal, daß sich ein schließer bei mir entschuldigt.

 

sonntag 16. oktober

seit einer woche werde ich mit anderen gefangenen heraus-geführt. reden darf ich nicht, dann wird die freistunde abgebrochen-die versuchung ist groß! aber in dem moment, wo ich merke, daß diese gemeinheit eine verordnete ist, bestärkt sie mich in meiner grundhaltung!

 

dienstag 18. oktober

am nachmittag reiten sie zu viert bei mir ein, wegen unerlaubter kontaktaufnahme. sie fassen mich aber nicht an,nehmen nur meinen stuhl mit, damit ich nicht mehr an das zellenfenster komme. andere gefangene in der gleichen situation wären sicher in den bunker abgegangen. bei mir scheuen sie die öffentlickeit - ich hätte vorher nicht gedacht, daß das, in dieser zentrale der willkür, eine macht ist!

absurd- ich entdecke überall bei den schließern neben dem tiefen haß doch eine nicht ausgesprochene akzeptanz.

habe jetzt eine neue variante der gefangenenkommunikation entdeckt:wenn ich das wasser aus dem kloknie mit dem aufwischlappen sauge, kann ich mich über die kanalisation mit einem kollegen unter oder über mir unterhalten. es ist so deutlich wie ein haustelefon. nur das quieken der ratten stört.

 

freitag 28. oktober

die gemeinsame freistunde, das entspannte lachen, die freude den ärger zu teilen , das vermisse ich.

ich habe beschlossen mir einen tagesrythmus zu geben-ich muß dieser fremdbestimmung meine eigene ordnung entgegensetzen- keinen regiden aber einen disziplinierten:

5.30 das licht wird von außen angeschaltet

6.15 erster aufschluß, mülleimer leeren + vormelder (die anstalts-eigenen formulare) abgeben

6.30 frühstück fassen

7.00 schachtraining

1 stunde hofgang, davon 30min dauerlauf

12.00 mittagessen

14.30 autogenes training

15.00 abendbrot

15.30 nachteinschluß

16.00 beschwerden und vormelder schreiben

wenn ich meinen tagesplan schaffe, belohne ich mich mit einem brief. alle briefe werden nicht gleich gelesen, sondern gesammelt.

 

montag 7. november

seit gestern ist mein zellenachbar nicht mehr ansprechbar:die staatsanwaltschaft hat 14 jahre gefordert

 

sonntag 13.november

sonntag: akustische notbeleuchtung auf den gängen aber dafür keine angst vor zellenfilzungen.

manchmal fühle ich mich richtig wohl. wenn ich im normalvollzug geblieben wäre, hätte ich dieses gefühl -die haftbedingungen zu unterlaufen, dieses sichere gefühl nie wirklich ohnmächtig zu sein- nicht erlebt. auch dieses beschäftigen mit dem schach, der welt auf den 64 feldern, die die reale welt oft tage vergessen macht, gibt mir eine unabhängigkeit, die ich nicht mehr missen möchte.

 

dienstag 6. dezember

mitten in mein autogenes training sticht der schlüssel und der sani ruft:"krankenhaus". ich bin ärgerlich -ich hatte keinen vormelder geschrieben- und ich lasse mich ungern mitten in meinem strandbild mit den dünen stören.

 

 

"tuberkulintest" erklärt der sani. er redet so vor sich hin, als er uns vorbei an der zentrale über den b-flügel ins haftkrankenhaus schließt:"weiß gar nicht, was sie gegen die röntgenuntersuchung haben, die strahlenbelastung ist weniger als, wenn sie auf einem achttausender stehen!" "ja,ja, ich gebe dir recht. ich weiß auch nicht, was manche menschen so haben gegen die beamten, sie tuen doch nichts!"

ich muß kaum warten, bevor ein junger symphathischer arzt eine große spritze in meinen unterarm reinjagt - sein theorethisches examen bezweifele ich nicht - dieses siegesgefühl, schon bald aus der isolationshaft herauszukommen, verdeckt den kurzen schmerz. "muß noch zweimal gemacht werden", beendet der arzt unser unverhofftes rendezvous.


 

mittwoch 7. dezember

der zahnarzt hat mir gestern zwei zähne gezogen. als ich heute abend noch blute, gehe ich auf das notsignal. nach einer halben stunde belehrt mich ein schließer durch den spion:"du hast sieben liter blut - die behandlung hat noch morgen früh zeit, wenn mein kollege dienst hat!"

 

donnerstag 8. dezember

tuberkulintest zweiter teil. dieser arzt heute versteht sein handwerk - warum ist der bloß in den knast gegangen?

bisher alles o.k.

 

freitag 9. Dezember

schließerschikane:der wachhabende verbietet mir zu laufen. ich laufe trotzdem. es wird alarm gegeben und eskortiert von der sicherheitstruppe werde ich zurück in meine zelle verfrachtet.

 

montag 12. dezember

tuberklintest dritter teil:wieder der nette arzt, als er sich unbeobachtet fühlt sagt er:"ich persönlich ziehe den tuberkulintest auch vor!"

 

mittwoch 13. dezember

der gleiche schließer wie am freitag- aber diesmal passiert nichts. zwar ist die dienstaufsichtsbeschwerde, die ich eingeleitet habe (mich kostet sie 10 minuten arbeitszeit, der anstalt zusammengerechnet mindestens 2 stunden!) wie juristen sagen: formlos, fristlos, fruchtlos, aber sie erzielt trotzalledem eine wirkung, denn, er muß antworten, schriftlich und wenn er an schriftsätze gewöhnt wäre, hätte er nicht schließer werden müssen.

 

freitag 16. dezember

der tuberkulintest ist negativ. wenn jetzt auch das blutbild o.k. ist, verspricht die anstalt mich aus der isolation zu entlassen.

der nette arzt zwinkert mir zu "wenn wir bei allen gefangenen einen tuberkulintest durchführen müßten, bräche der ganze betrieb hier zusammen!"

 

mittwoch 21. dezember

beim runden laufen sehe ich oben auf der station ein kinder-gesicht, es wird kaum älter als 14 jahre sein, ab 14 wird man straffähig.

ich habe ihn die letzten tage gesehen, mal füttert er die tauben, mal redet er mit den mitgefangenen, die meiste zeit aber steht er nur vor seinem fenster, die hände durch das gitter gesteckt, dahinter gefaltet und stiert mit traurigem blick in den hof. wenn sie mich mit vierzehn weihnachten in den knast gesteckt hätten, dann hätte ich mir anschließend das genommen, was mir fehlt ohne rücksicht auf die bankangestellten - die den großen helden spielen wollen und das verteidigen, was ihnen nicht einmal gehört!

 

donnerstag 22. dezember

der schließer legt einen kleinen verkrüppelten fichtenzweig auf den holzdeckel meines klos und befiehlt:"damit schmücken sie ihre zelle aus!" mein erstauntes gesicht beantwortet er mit:"das bekommt jeder gefangene!"

 

samstag 24. dezember

weihnachten bedeutet:keine freistunde, ruhe auf dem gang, keine angst vor einer zellen-filzung und licht bis tief in die nacht. die statistische selbstmordstimmung der gefangenen beantworten die schließer damit, daß sie heute viel netter sind.

 

donnerstag 29.dezember

heute habe ich prozeß - die öde des alltags wird durchbrochen.
um halb acht uhr wollen sie mich schon zum gericht holen. das machen sie immer so:selbst, wenn du erst nachmittags termin hast, sperren sie dich bis zu deiner aburteilung in 1-quadratmeter große wartezellen.

mir geht es gut und ich möchte einmal ausprobieren, was passiert, wenn die dummen kälber nicht pünktlich zu ihrer schlachtung kommen.

"ich hatte noch keine freistunde" versuche ich dem schließer zu erklären.

nach zwei stunden erscheint tommi, mein anwalt. er hätte noch eine gnadenfrist vor der zwangsvorführung herausgeholt, um mich zur vernunft zu bringen. mittelweile aber habe ich kein problem mehr, die freistunde hatte ich gerade abgehalten.

es vergeht einige zeit, bevor ich ins gericht geführt werde. nur für fünf minuten, denn die verhandlung wird danach vertagt.

es war heute ein spannender und erlebnisreicher tag. schließlich kann ich noch 10 minuten im gerichtssaal mit meinen eltern und meiner schwester reden, die eigens zum prozeß angereist sind.

 

freitag 30. 12

urteilsverkündigung. (ich werde diesmal nicht in die 1 quadratmeter großen wartezellen verfrachtet, sondern gleich der richterin vorgeführt). die richterin verhängt weitere 10 monate haft: zwar leidet der angeklagte sichtlich unter der haft, doch hat sich seine haltung zur justiz nicht verändert, deshalb ohne bewährung.

als ich mitten in der urteilsbegründung aufstehe, mir den schwachsinn nicht weiter anhören und nach hause auf meine zelle geschlossen werden möchte, erhalte ich noch einmal 10 tage ordnungshaft wegen "menschlicher unreife" - die richterin hätte sich soviel mühe gegeben bei der urteilsbegründung.

eigentlich hatte ich bei diesem indizien-prozeß mit einem freispruch gerechnet. das genick gebrochen hat mir das hauptindiz:in der prozeßerklärung hatte ich "garnicht" zusammen geschrieben, genauso, wie auf dem flugblatt gegen den neubau der auf sicherheitsniveau gebauten haftplätze, mit einem fahndungsplakat inclusive wohnadressen, der für diesen bau verantwortlichen.

daß ich diese 100000 flugblätter mit freunden von dem baugerüst der gedächtniskirche geworfen hatte, haben sie mir nicht nachweisen können - die bullen waren zu langsam. und die passanten sprachen von einem mann mit bart und langen haaren - aber das war auch die einzige übereinstimmende aussage.

trotzalledem, als ich nachher mich auf meiner zelle wieder beruhigt habe: es war ein toller augenblick, als 100000 flugblätter den kudamm übersäten und die touristen die flugblätter mit interresse lasen (weil sie glaubten, daß alles, was von oben kommt, gesegnet sein muß). und alle schönen momente im leben haben eben ihren preis!

 

 

samstag silvester

um null uhr polterabend auf dem freistundenhof:zersplitterte gläser, schüsseln, teller - die stimmung ist gut, genauso freimütig, wie sie mit unserem leben umgehen, gehen wir mit dem anstaltseigentum um!

 

sonntag 1. januar

mindestens zwei bis dreimal am tag höre ich irgendwo im haus einen lauten pfiff und die bezeichnung einer station, danach ein einziges türen-schlagen und das rennen aller schließer zur alarmursache. heute bin ich zaungast in der ersten reihe:

gestern hat rechts neben mir ein neuer gefangener sein domizil bezogen. als der schließer um 22 uhr das licht ausmachen wollte, hatte der gefangene von innen schon die birne losgeschraubt und war eingeschlafen. der schließer bommerte gegen die zellentür, was den gefangenen nicht sonderlich juckte. das sich zusammenbrauende gewitter in form der sicherheitstruppe roch der gefangene aber und schraubte die glühbirne wieder rein. die schließer stürmten die zelle trotzdem, bufften ihn ein wenig "das machst du nicht noch einmal!" ließen den gefangenen dann aber schlafen.

heute morgen nun höre ich den schließer schreien: "ihre zelle ist dreckig", danach das zerdeppern einer porzelanschüssel, den pfiff und den lauten ruf "cäsar 2". nach dem türenschlagen das trampeln einer herde, schreie von dem gefangenen, die ich nie mehr vergesse, dazwischen die deutliche stimme eines schließers:"den kopf runter drücken, den kopf runter drücken!" (damit der gefangene nicht sieht woher die schläge kommen!)

wie gelähmt höre ich wie die schreie sich entfernen,bevor sie im keller verhallen. sie weichen der gewißheit, daß die schläge dort erst richtig beginnen, wenn die schließer unter sich sind.

später als ich meinen stationsschließer frage, was mit meinem zellenachbarn ist, höre ich die knappe antwort:"der ist verreist".

 

montag 2. januar

seit einer woche bekomme ich fünf tageszeitungen, alles probeexemplare. ein mir unbekannter lieber mensch hat sie bestellt - eine pfiffige idee!

seit drei tagen habe ich wahnsinnskopfschmerzen. ich habe die fenster tag und nacht auf-lieber frieren als ersticken! ich verstehe jetzt mitgefangene, die sich plötzlich unter dem bett verstecken, weil sie angst haben durch den spion erschossen zu werden.

 

donnerstag 5. januar

jeder gefangene hat das recht dreimal im jahr ein paket zu erhalten (nur die wenigsten haben draußen angehörige, die das finanziell und organisatorisch auf die reihe bekommen). alle pakete aber, die aus dem ausland ankommen müssen dem gefangenen ausgehändigt werden. heute ist für mich so ein glückstag, meine eltern haben mir über holland ein paket geschickt. ich werde in das sicherheitsbüro geholt, wo ein mann, gut gekleidet, mitte vierzig - einer von denen, die sich mütter als schwiegersöhne wünschen - mit der geste-bitte
nehmen sie platz- empfängt. er ist sehr freundlich und schiebt mir ein blatt zur unterschrift zu:"bitte hier, daß sie das erste paket in diesem jahr bekommen". manchmal macht es mir auch spaß freundlich zu sein:"unterschreiben ist ein akt der freiheit-da ich diese nicht mehr besitze, verzichte ich auch gerne auf das unterschreiben!"

"dann bekommen sie das paket nicht ausgehändigt!" "ist das so ein verlust? der kuchen ist in seiner form nicht mehr erkennbar, die salami ist auch der rauschgiftfahndung zum opfer gefallen...außerdem sie können wegen der zollbestimungen auslandspakete nicht zurückschicken -das theater können wir uns doch ersparen!"

"na gut, dann geht das paket zur hauskammer!" " für mich kein problem.ich mach ne`klage bei der strafvollstreckungskammer. die brauchen zwar bis zu zwei jahren, um zu entscheiden - dann bin ich hoffentlich entlassen- ich verlange aber dann bei meiner entlassung mein paket zurück-wenn sie die salami solange kühl stellen, soll es mir recht sein!"

wieder auf meiner zelle wird mir mein paket gebracht. die zusatz-verpflegung bei der eintönigen anstaltskost reicht für ein paar wochen und über den tabak (die geldwährung hier drin!) hat sich ein nichtraucher selten so riesig gefreut!

 

freitag 6. januar

es gibt drei verschiedene arten von zellenfilzungen:1. die routinemäßige bei der freistunde

2. die außerordentliche mitten am tag 3. die vom sicherheitsbüro angeordnete

die letzte ist die gefährlichste und heute angesagt. drei softe schließer befehlen:"nackt ausziehen!" sie tasten meine klamotten ab, nach verbotenen schriftstücken, so die leitdevise der anstaltsleitung. bevor sie mich für die zeit der filzung in einer wartezelle zwischenlagern, photographieren sie meine zelle-nach der filzung noch einmal. eine halbe stunde quälende warterei. danach verlassen sie meine zelle ordentlicher, als sie vorher war - was so ein photo alles ausmacht!


 

dienstag 10. januar

bin heute auf einem tiefpunkt. einerseits die anhaltenden kopfschmerzen, andererseits ärgert es mich, daß ich mich gegen bestimmte leute draußen nicht einmal verteidigen kann. sie reden jetzt nach fünf monaten haft ganz anders über mich. später am abend ist es mir egal, was sie draußen über mich denken, die zelle wird zu meinem schneckenhaus, das mich vor dem leben draußen schützt. durch ein kleines loch kann ich die welt beobachten, nicht mehr beeinflußen.

 

donnerstag 12. januar

kurz nach sieben uhr werde ich in den extra arzttrakt zum sani geführt-blut abnehmen. vor mir ein leidensgenosse. mein blick sucht das bett - ich kenn mich doch. der sani sticht in den bulligen unterarm meines vorgängers, zieht die spritze heraus, sticht erneut zu, ein drittes mal, bevor er entschuldigend ausruft:"rollvene". ich renne raus. sofort nehmen mich zwei sanis in die mitte:"mensch axel, du willst doch aus der iso!"

überzeugend. "sie müssen morgen wieder kommen", wendet er sich von meinem vorgänger ab und fragt mich, warum ich so kreideweiß wäre. ich liege auf dem bett, lasse den einstich über mich ergehen. "ich hab`s", zeigt der sani seinem kollegen die kanüle und erklärt mir:"das war heute das erste mal!"

 

montag 23. januar

heute früh haben sie klammheimlich die schilder von meiner tür abmontiert. um neun uhr heißt es freistunde, und sie haben meine zelle mit aufgeschlossen - ich will es erst nicht glauben, aber ich bin im normalvollzug. ich kann diese kostbare stunde dazu nutzen , nicht nur stumpf im kreis zu laufen. wahnsinn!

den kommenden mittwoch erkläre ich zu meinem persönlichen feiertag. schließlich kommt es nicht oft vor, daß man diese schwerfällige menschenverachtende verwaltung in die knie zwingt. bis mittwoch sind sind noch fünf tage, fünf tage vorfreude sind ein teil meines triumphes.

(wenn das einmal einem gefangenen zugestanden wurde, kann es von jedem anderen gefangenen auf der basis des gleichbehandlungs-grundsatzes eingeklagt werden. aber recht haben und recht zu bekommen sind immer zweierlei, besonders für inhaftierte.)

 

dienstag 24. januar (der zweite tag nach der niederlage der anstalt -neue zeitrechnung!)

die freistunde:eine stunde urlaub von der 23-stündigen einsamkeit. ich habe das gefühl, langsam krabbeln zu lernen, die (knast)-welt neu zu entdecken.

 

mittwoch 25. januar

direkt nach dem aufschluß steht der schließer-der sich schon in der vergangenen zeit wegen seiner zynischen, sadistischen art in mein gedächtnis eingraviert hat-

vor mir "die plastiktüte bleibt hier". ich bin außer mir, wir sehen uns starr in die augen. für einen moment macht die lust ihm eine reinzuhauen die angst vor dem bunker vergessen, bevor ich bebend rufe:"du hast wohl `ne macke!". ein anderer schließer beruhigt mich und führt mich zurück in meine zelle.

als ich wieder zu mir gekommen bin wird mir klar: in einer ähnlichen situation wird immer alarm gegeben. ich weiß gar nicht, was mich da geritten hat.

nachruf:wegen dieses vorfalls erhalte ich ein paar tage später eine anzeige wegen beleidigung. unglaublich-dieser rauhe ton, dieses beleidigen, das ist hier der normalton!

 

freitag 27.januar

ich gebe früh einen stapel von vormeldern ab. der schließer flachst:"so krank sehen sie nicht aus!" Heute ist mein feiertag, deshalb habe ich ärzte und den pfarrer für heute bestellt!" der schließer schließt sanft die tür und eilt zur nächsten zelle.

am nachmittag kommt marlene,eine anwältin."bin ein wenig in eile, aber ich wollte dir wenigstens gratulieren". sie hat
pralinen mitgebracht, mit einer schnapsfüllung - hoffentlich riecht nachher keiner meine fahne-marlene wäre ihre anwaltszulassung los, ich käme in den bunker - alkohol gehört im knast zu den größten verbrechen.

nach jeder freistunde-nach jedem reden mit den mitgefangenen- habe ich das sichere gefühl, daß meine kopfschmerzen besser werden.

heute laufe ich nicht, will keinen ärger.ab morgen werde ich die wühlarbeit fortsetzen. in ein, zwei monaten,jahren werden sie mir dann die erlaubnis erteilen, nur um ihre ruhe zu haben. eins habe ich hier gelernt:konflikte kann ich besser aushalten -ich habe nicht die macht, nur den längeren atem!

 

sonntag 29. januar

heute kann ich das erste mal -nach der neuen zeitrechnung- am gottesdienst teilnehmen.(alle zwei wochen ist das möglich, wenn der gefangene bis spätestens freitag einen vormelder, einen schriftlichen antrag, gestellt hat.) seitdem ich begriffen habe, daß der liebe gott ein hirngespinst der menschen ist: für die einen die sehnsucht die zahllosen verletzungen auszugleichen, für die anderen die legitimierung ihrer macht und das herrschaftsmittel die minderbemittelten vom fleischtopf abzuhalten,seitdem habe ich den gottes-dienst aus meinem leben gestrichen. doch in der kiste bedeutet gottesdienst, urlaub vom alleinsein.

auch der liebe gott hat hier seine zelle, zugegeben sie ist nicht mit unserer vergleichbar, seine ist viel größer, aber von den vergitterten fenstern hat nicht einmal er sich befreien können.

es sind noch nicht alle da, so daß wir uns unser lieblingsbeschäftigung widmen:warten.

dann erscheint ein mann in uniform-nicht die graue,pechschwarz- und behauptet "wir wollen jetzt gemeinsam das lied singen:`allein gott in der höh`sei ehr, und dank für seine gnade`". der mann ist vielleicht mitte vierzig, hat feine, weiche gesichtszüge - eine menschliche oase, in dieser männer-wahn-domäne. nur das mit dem "wir" scheint er überschätzt zu haben. ich höre ihn singen-nicht gerade schön aber laut- und ein leises brummen von der gefangenseite . "ne sensibilität, wie `nen holzklotz", platzt mir der kragen, "ich zähle mal die knastjahre allein auf unser bank zusammen und da sollen wir noch singen ` und dank für deine gnade`"."wir müssen ja nicht singen", wendet er sich sichtlich betroffen seiner predigt zu. nach zehn minuten melde ich mich erneut zu wort "ich bin 23 stunden allein auf zelle, ich will hier reden! schließlich haben wir dich angestellt, nicht du uns!"-ein entwaffnendes argument, denn er pocht jetzt auf sein hausrecht. eine ebene, auf die ich mich vorher vorbereitet hatte. ich war zu der einschätzung gekommen, daß sich kein pfarrer leisten kann die sicherheits-truppe zu hilfe zu holen. für einen moment ist totenstille eingetreten. fünf schließer, die an der eingangstür saßen, sind allesamt aufgestanden und warten auf den einsatzbefehl des himmelskomikers. "zum abschluß singen wir noch das lied 223" unterbricht er die peinlichkeit. diesmal ist nicht einmal das brummen der gefangenen zu hören.

 

 

montag 30. januar

mitten in der einsamkeit klopft es an der zellentür - ein schließer kann das nicht sein. "haben sie einen moment zeit?" fragt mich der pfarrer. er schließt uns durch in sein büro- nicht gerade üppig, kaum größer als meine zelle allerdings von anderem standard. "mir geht es schlecht", fängt der pfarrer an ,"mir liegt die ohnmacht von gestern im magen". ich freue mich, es ist das erste mal, daß ein mensch dieser rauhen umgebung etwas weichheit entgegensetzt. wir reden fast zwei stunden miteinander - die verschiedenen seiten sind nicht wegzudiskutieren und doch ist es der beginn einer freundschaft, die sich in die sogenannte freiheit rüberrettet.

 

Aus:"Gestohlener Himmel-Widerstehen im Knast", Tom Verlag Leipzig 1995,

ISBN 3-930383-04-7




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