Ein Leben mit Köig und Dame
Ralf-Axel Simon führt in Steglitz einen einzigartigen Laden mit rund 500 Schachspielen und 5000 Fachbücher
von Dietmar Bender

Berlin. Als Ralf-Axel Simon in den 80er Jahre ins Gefängnis musste, half ihm das Schachspiel, seine Einzelhaft zu übewinden. Vor 17 Jahren richtete der geborene Berliner einen Schachladen ein und hat heute bundesweit die wohl umfangreichste Sammlung an Schachspielen und -literatur.
Schach ist für Ralf-Axel Simon kein bloßes Hobby, Schach ist sein Leben - und das nicht nur, weil er in Steglitz einen Schachladen führt. Mit dem Griff zu den Figuren entfloh er einst der dörflichen Tristesse seiner Kindheit in einem Dorf bei Osnabrück und holte sich ein Stück Lebensmut in die Knastzelle. Damals hatte der studierte Religionswissenschaftler im Westteil Berlins unterrichtet und wurde nach einem Jahr wegen seiner linken Gesinnung vom Schuldienst suspendiert. Deshalb arbeitete er als Erzieher in einem Kinderladen, der zu einem Obdachlosenasyl gehörte. Er gründete die Zeitung "Radikal" und trug andere Zeitungen aus, um sich zu finanzieren.
In jener Zeit erhielt er wegen Beleidigung von Polizei und Justiz in seinem selbst herausgegebenen Blatt zwei Jahre und vier Monate Gefängnis und saß davon 16 Monate ab - ein halbes Jahr in Einzelhaft. Hier kam ihm seine Liebe zu Schach, die sein Vater in ihm geweckt hatte, zugute: "Ich analysierte Stellungen und Züge, suchte nach neuen Varianten." So absolvierte er in seiner Gefängniszeit eine Art Intensivlehre für das Schach-Handwerk - mit einem Zwölf-Stunden-Tag. Bis heute veröffentlicht er "Texte aus dem Knast" und erhielt dafür bereits zum vierten Mal den bundesweiten Ingeborg-Dewitz-Literaturpreis für Gefangene.
nach seiner Entlassung gründete er das Cafe "Untergrund" und schrieb für die Tageszeitung (taz). Doch iregendwann fühlte er sich ausgebrannt und beschloss 1988, in Europa umherzureisen umd vom Turnierschach zu leben. Moskau und Lugano waren unter anderem seine Stationen. Nach drei Jahren kehrte er zurück nach Berlin und eröffnete sein Schach-domizil.
Mit seiner weissen Mähne und seinem langen Bart drängt er sich durch die engen Gänge seines kleinen Ladens.Rund 5000 Schachbücher , ob antiquarisch oder neu, ob deutsch- oder fremdsprachig, reihen sich in den Regalen - bundesweit wohl eine einmalige Sammlung. Auch 500 verschiedene Schachspiele hat er im Angebot. Figuren ais Holz, Berstein, Kupfer und Zinn gehören ebenso zur Auswahl, wie aus marmor, Glas, Speckstein oder Keramik. Die Protagonisten stammen aus der Antike, der Zaren-, der amerikanischen Bürgerkriegs- oder Preußenzeit, stellen Heiligenbilder oder Fußballer dar oder sindden Seemannsmotiven entlehnt. Ob klassisch, mondän oder verspielt - für jeden Schachspieler finden sich Figuren und das entsprechende Brett dazu. Auch Schachcomputer,postkarten mit Schachmotiven, Schachuhren und T.Shirts, Anstecker und Krawatten finden sich in Simons Laden.
Der 56-jährige ist mehr als ein Fachverkäufer. An den Wochenenden reist Ralf-Axel Simon zu verschiedenen Wetbewerben , spielt sowohl in einer Mannschaft inder Schweizer nationalliga B (und steht vor dem Aufstieg in die höchste Spielklasse) als auch beim MSV Neuruppin in der Landesliga, "in einer wunderbaren Mannschaft, die sich entwickelt". Er nimmt nach wie vor an großen Turnieren tel, wie jenen in Lugano und Zürich, die mehrer Tage dauern.
In Lugano besiegte er sogar den Großmeister Samuel Herman Reshevsky (USA) und spielte gegen Bent Larsen (Dänemark) remis. Vor zehn Großmeistern belegte Simon den zweiten Platz. Im Jahre 2000 wurde er dann Berliner Schnellschachmeister. Auch 2007 stand Ralf-Axel Simon noch einmal ganz oben. Er gewann mit seinen drei Berliner Mitspielern die Schach-Champions-League (CCL) im Fernschach und ließ ein russisches Team hinter sich.




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