Ralf-Axel und die Justiz Der Herausgeber des "Knastblattes" fand einen milden Richter (aus: DIE ZEIT-Nr.12-14.März 1986) von Klaus Pokatzky West-Berlin

Nein, der Angeklagte will nichts sagen. Der Angeklagte ist auch nicht bereit, sich zur Person zu äußern, und er will auch nicht sagen, ob seine Vornamen Ralf-Axel sich mit Bindestrich schreiben oder nicht. "Als letzten Satz, den ich vor deutschen Gerichten gesagt habe", will der Angeklagte vielmehr gewürdigt wissen daß "ich seit sechs Jahren mit der deutschen Justiz zu tun habe und mir dauernd das Wort im Mund rumgedreht wird". "Aber ich habe doch gar nich Axel Ralf zu Ihnen gesagt", mokiert -sich der Richter. Er bitte um "Kommunikation". "Wir wollen doch ein Ergebnis erreichen." Die Verteidigung bittet um "'ne Minute Pause'".Angeklagter und Verteidiger verschwinden auf dem Gang, um zu beraten, wie sie es mit der Kommunikation im weiteren Verfahren halten wollen. Der Richter Hagen Hillebrand, Vorsitzender der 10. Großen Strafkammer beim Landgericht Berlin, lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Dreißig Zuhörer rutschen auf den Bänken hin un her. Die meisten sind mit ihrem Lehrer da, Schülerinnen und Schüler einer Erzieherschule. Der Richter sieht ins Publikum. Ganz ruhig und beherrscht. Die Zuhörer blicken auf den Richter. Erwartungsvoll. Er dürfe jetzt, solange Angeklagter und Verteidiger noch draußen seien, natürlich nicht die Verhandlung fortsetzen, sagt der Richter Hillebrand Aber man sehe eben doch, "das Verhältnis zwischen Justiz und Öffentlichkeit ist oft ein sehr gestörtes". Der Staatsanwalt blickt angestrengt in seine Brillengläser, der Protokollbeamte konzentriert sich auf das Fenster. "Wir wollen es hier ja nicht auf Kinospannung treiben", erzählt Richter Hillebrand, "es geht ja darum, eine sachliche Lösung zu finden." Bevor der Richter erklären kann, welche Probleme ihm das Verhältnis zwischen Justiz und Öffentlichkeit bereiten, geht gottlob die Saaltür auf, Angeklagter und Verteidigung erscheinen wieder. "Er heißt Ralf-Axel mit Bindestrich" , stellt der Verteidiger fest, "ist Berliner und verheiratet." Angestellter 32 Jahre alt, 1400 Mark im Monat, keine Kinder. Der Angeklagte beschäftigt in der Tat die Berliner Justiz und diese ihn, und es geht dabei, im weiteren Sinne, um das Verhältnis zwischen Justiz und Öffentlichkeit. Es geht um den Kampf des Ralf-Axel S. gegen die Justiz und den Kampf der Jutiz iz gegen Ralf-Axel S. Es ist nicht die Regel, daß es, bei aller Verkrampfung und Verklemmtheit, die im Saale herrscht, so relativ friedlich zugeht wie unter dem Richter Hagen Hillebrand. Insgesamt zwölfmal hat der Angeklagte in den letzten sechs Jahren vor Berliner Gerichten gestanden und ist zu vielerlei Strafen verurteilt worden, zu Geldbußen und Haft. Abgesessen hat er 16 Monate. Dazu kommen noch anderthalb Monate Untersuchungshaft und einige Wochen Ordnungshaft für ungebührliches und beleidigendes Benehmen vor Gericht. Kein Richter braucht es sich ja gefallen zu lassen, wie der Richter Hildebrand das an seinen zwei Verhandlungstagen tut, daß der Angeklagte sich noch nicht einmal zu seiner Person äußert und daß er einfach die ganze Zeit über auf seinem Hintern sitzenbleibt, weder aufsteht, wenn das Gericht den Saal betritt, noch, wenn das Urteil verkündet wird. Doch die Berliner Justiz ist ihres Kampfes mit Ralf-Axel S. offenbar müde. Sie möchte seinetwegen keine negativen Presseberichte mehr - und hat sie ihn, ganz imVertrauen, am Ende nicht auch kleingekriegt? Das Knastblatt erscheint doch schon seit Jahren nicht mehr - das Knastblatt, mit dem Ralf-Axel S. gegen die Justiz seinen Privatkrieg führte. Ralf-Axel S. ist gelernter Religionslehrer. Als er Mitte der siebziger Jahre mit seinen Schülern nicht nur das italienische Arbeiterlied "Avanti Popolo" einstudierte, sondern auch von möglichen moralischen Motiven der Entführer des Berliner CDU Vorsitzenden Peter Lorenz sprach, durfte er nicht mehr unterrichten. Nach dem "heißen herbst" des Jahres 77 fing er dann an, sich um Häftlinge zu kümmern, erst - in der "Roten Hilfe" - vor allem um "politische", dann um alle, die seine Hilfe brauchen konnten. Zu Weihnachten und Ostern organisierte er paketaktionen. Bekannt in Szene und Justizkreisen wurde er mit seinem Knastblatt. Als Redakteur, Verleger und Verteiler brachte er das Anfang der chtziger Jahre heraus, alle 14 Tage im DIN-A4-Format, in einer Auflage bis zu 25000, die er einzeln verteilte oder alternativen Stadtzeitschriften beilegte. Auf einer Gesamtauflage von mehr als einer Million haben es seine mehr als 60 Knastblätter gebracht, über 100000 Mark hat Ralf-Axel S. für die Knastarbeit ausgegeben. Das war nur möglich, weil er all die Jahre über als Zeitungsausträger des Berliner Tagesspiegel ein Nettoeinkommen von 2500 Mark im Monat erarbeitete und für seine persönlichen Bedürfnisse davon gerade mal den Sozialhilfesatz abzwackte. Er ist ein Unikum in der Szene, der "Knastblattaxel", wie ihn die taz tituliert, mit seinen weit über die Schultern fallenden Locken, dem vollen Bart und den sanften Augen., Wenn er sein Knastblatt schrieb, gab er sich allerdings gar nicht sanft. Da schlug er zu. Gegen Mißstände im Berliner Strafvollzug griff er voll in die Tasten. Polizisten, Vollzugsbeamte, Senatoren bekamen ihr Fett ab:"Graue Ratten mit Schlüsselgewalt", "Justizschweine", "Staatsverbrecher". Das alles erfüllte den Tatbestand der Beleidigung, auch der Verunglimpfung des Staates, der üblen Nachrede, des Verstoßes gegen das Berliner Pressegesetz. Als Richter Hillebrand jetzt Passagen aus einem Urteil des Landgerichtes Berlin vom vorigen Jahr verliest, haspelt er die lange Liste der Strafen so schnell herunter, daß man davon kaum ein Wort verstehen kann. Und schon gar nicht ist etwas zu verstehen von den Passagen des landgerichtlichen Urteils, in denen Vorwürfe, die Ralf-Axel S. gegen den Vollzugsinspektor A, in sleinem Knastblatt erhoben hatte, als wahr unterstellt werden. Auch das Landgericht ging nämlich im vorigen Jahr davon aus, daß der Beamte A. Zellen von Häftlingen in einer Weise durchsuchen ließ, daß sie "hinterher unbewohnbar" waren, auch, daß dabei "Nahrungsmittel ausgeschüttet" wurden - ja, die Richter mochten damals noch nicht einmal Einwände gegen den Knastblatt-Satz aus dem Jare 1981 erheben, der sich mit den "säuischen Methoden des Sicherheitsinspektors" A. befaßt:"... hat oft haschisch auf die Zellen von gefangenen gelegt, um diegefangenen anschließend zu diszilinieren - außerdem hat er aussagen von gefangenen mit urlaub und anderen versprechungen erpreßt!" Die Berliner Justiz hat dem Ralf-Axel S. solche Sätze auf ihre Weise heimgezahlt. Als er, vom Sommer 1983 bis Anfang 1985, eine Haftstrafe verbüßen mußte, war für seine Haft ausgerechnet jener Inspektor A. zuständig, und die Justizbehörden ließen sich durch keine Einsprüche und Proteste seines Verteidigers Christian Ströbele von dieser Personalwahl abbringen. Ralf-Axel S. und die Justiz gingen nicht besonders fein miteinander um. Wobei man Ralf-Axel allerdings zugute halten muß, daß er seine Pamphlete stets mit Namen, Anschrift und Adresse versah. Der Berliner Staatsschutz und die politische Abteilung der Staatsanwaltschaft hatten es wahrlich nicht schwer mit ihm. Unter den Wust von Urteilen, die mal rechtskräftig wurden, mal nicht, und unter die vielen neu hinzugekommenen Verfahren muß nun der Richter Hagen Hillebrand den Schlußstrich ziehen. Sogar der Staatsanwalt ist bereit, einen Teil der Anklage , fallenzulassen, und zum Schluß geht es im wesentlichen noch um Verunglimpfung des Staates in Tateinheit mit Vert stößen gegen das Berliner Pressegesetz. Richter Hillebrand macht es milde. Er verurteilt den Angeklagten zu zwölf Monaten auf Bewährung, verhängt auch keine Ordnungsstrafe, als der bei der Urteilsverkündung sitzen bleibt. Zum Schluß hofft er sehr, daß es nicht nötig sein wird, die Bewährung wieder aufzuheben. Auch hofft er, "daß wir nicht nur dieses Verfahren, sondern auch die Grippewelle überstehen und alle weiteren Anfälligkeiten". Der Angeklagte ist glücklich. Er hatte eigentlich mit einer weiteren Haft gerechnet - und die bereits abgesessenen 16 Monate haben ja schon genug Wunden hinterlassen - ".ob die vernarben oder heilen, wird man sehen". Nein, er sieht sich nicht als Märtyrer, und wenn er, auch von manchem Freak, belächelt wird, "dann ist das okay ich werde lieber belächelt als bestraft". Es gehe ihm ja nur darum, am Ende kein schlechtes Gewissen haben zu müssen, sondern sagen zu können: " Okay, du hast viel Mist gebaut, aber immer nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt." Deshalb natürlich weiter Knastarbeit - denn "der Knast ist schließlich so ein Stück Speerspitze dieser Gesellschaft, dieser Repression: auf acht Quadratmetern ein halbes Leben leingesperrt sein" Die Gefahr dabei, noch mal in Konflikt mit der Justiz zu kommen, ist gering. Gegen die Knastarbeit, der er sich jetzt verschrieben hat, kann kein Staatsanwalt etwas einwenden. Ralf-Axel S. kümmert sich jetzt nämlich darum, daß die Spendengelder des Kontos Nummer 26 011 604 bei der Berliner Volksbank richtig verwendet werden-:Er betreut bei der taz den "Verein Freiabonnements für Gefangene e. V.". Motto: "Knackis brauchen Infors - spendet Knast-Abos!" von Klaus Pokatzky




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