meine vorgeschichte
eigentlich wollte ich immer mit kindern leben. eigene kinder schloß ich für mich aus, denn ich wollte das leid nicht auch noch vergrößern. aber eine adoption wollte ich von anfang an und auch immer, hatte es nur später auf das nächste leben verschoben, weil ich in diesem leben mich mit knast beschäftigte, und wenn die bezugsperson permament bedroht ist wieder einzufahren, hat der heranwachsende auch keine freude.
irgendwann in meinem langen leben hatte mir eine alte (im sinne von bewährt!) freundin ihr leid darüber geklagt, dass ihre tochter ohne benennbaren vater groß wurde. ich wollte die lücke schließen und bot ihr an das kind zu adoptieren "sie nimmst du mir nicht weg!", funkelten ihre augen zornig. "du müsstest mich ja dann heiraten", sagte sie nach einer kurzen denkpause beleidigt. wir hatten schon jahre über dieses thema diskutiert, wenn auch nur theoretisch, aber es gipfelte in meinem ausspruch "ich laß mir doch meine beziehung nicht durch eine ehe kaputtmachen - ich heirate nur jemanden, den ich nicht mag!". meine alte freundin sah das nicht völlig aber doch anders. genauso, wie ich den moment gerade ganz anders interpretiert hatte:mir waren die folgen der adoption sehr wohl klar und trotzdem hatte ich mich dafür entschieden, was ich als zuneigung zu meiner alten freundin interpretierte - ein typisches kommunikationsproblem zwischen männern und frauen. der abend war gelaufen und wir haben dieses thema nie wieder diskutiert.
obwohl wir, glaube ich, eigentlich eine ähnliche vorstellung von beziehung hatten: tagsüber sich geschäftig zu bewegen, um uns am abend auszutauschen. nur war in jungen jahren unsere realität so unterschiedlich, dass ich die realisierung unser vorstellungen auf das alter verschob. im alter aber merkte ich erschreckt rückblickend, dass ich immer zeit hatte für die menschen, die ich eigentlich nicht mochte und mir die zeit fehlte für die menschen, die ich mochte. auf der anderen seite sah ich wie menschen nur noch mit menschen zu tuen haben ,die sie zwar mögen aber denen sie nichts mehr zu sagen haben, weil sie nur noch sich von konzert zu konzert oder wanderung zu wanderung freuen. meine alte freundin und ich haben jetzt unseren traum völlig verloren - wir begegnen uns nach wie vor wie billiardkugeln, die sich nur kurz berühren , um in voller stärke sich wieder abzustossen. "warum muss ich mich mit dir immer massiv streiten, ich will das nicht", warf mir meine alte freundin vor, "ich kann mich nur mit jemandem streiten, gegen den ich nicht mehr kämpfen muss, weil ich ihn in seiner gesamtheit akzetiere -gibt es denn einen größeren liebesbeweis?" konterte ich.
nun stehen wir bald - oder auch nicht so bald -vor der himmelspforte und da gibt es eine gute und eine schlechte nachricht: 1.die gute:wir werden weiter um werte ringen 2. die schlechte: am nächsten sonntag ist genossenschaftssitzung!

mein wunschkind - erwachsenenadoption
als cenk 1998 nach berlin kam muss er sich gefühlt haben wie ein wanderer zwischen zwei welten. er war in deutschland geboren in eine türkische gastarbeiterfamilie, die mit seinem 10. lebensjahr zurück in die türkei zog. er quälte sich dort durch die schule und machte abitur, damit er endlich wieder in deutschland studieren konnte. eine große energieleistung einen lang gefassten plan schlussendlich zu realisieren. doch angekommen, weder hier noch da zu hause zu sein, ist eine schmerzliche erfahrung, zumal, wenn man für seinen traum so lange gekämpft hat.
cenk lebte im gleichen haus auf dem dach, wo ich parterre im schachladen "wohnte". er kam öfters auf einen tee vorbei. der kontakt wurde intensiver, als er an krebs erkrankte. einmal rechnete ich zurück - er war in dem alter unser kinderladenkinder in den siebziger jahren, damals führten wir schon heftige auseinandersetzungen mit dem senat, die den ausländern nur eine deutsche identität beibringen wolten, wir aber davor warnten , daß menschen herangezüchtet werden, die keine identität mehr haben, die zum spielball zweier kulturen werden. heute sitzen die damals verantwortlichen mit ihren fettärschen auf ihren allzu hohen pensionen, und vor mir steht jemand, der mit dem leben abschließen musste und das mit nicht einmal dreißig jahren- für einen moment stieg diese wut in mir hoch vielleicht in den siebziger jahren zu viel diskutiert und zu wenig gehandelt zu haben.
cenk hat seine krankheit mit bravour gemeistert und ich habe gelernt diese bedrohung des schicksals auch als eine art auszeichnung anzusehen: es trifft vorallem die sensibleren menschen. aber allzu viel auszeichnung kann kein mensch vertragen!
die krankheit war im medizinischen sinne geheilt , die bedrohung aber blieb in form der ausweisung. denn leben in der türkei mit der krankheit in dieser rigidität der männlichkeit schwebte wie ein todesurteil über ihm. nur jemand, der das einmal selbst erlebt hat wird ermessen können wie der jährliche termin bei der ausländerbehörde in das leben eingreift: monate vorher steigert sich die angst vor der ausweisung bis zu einem körperlichen zittern an dem tag der erlösung auf zeit, denn nächstes jahr beginnt die gleiche prozedur, nur beginnt die angst früher und steigert sich. keine gute voraussetzung für einen gerade von einer lebenssbedrohlichen krankheit genesenden menschen.
irgendwann einmal kam uns die idee einer erwachsenenadoption, wir wußten, daß es kein allheilmittel ist, aber ein baustein mehr , der ihm etwas sicherheit geben könnte.
"hast du dir das auch richtig überlegt", sagte ein befreundeter anwalt bedeutungsvoll beim erstgepräch zu cenk, "denn dazu gehören auch große verpflichtungen, z.b. die der pflege im alter!" wenn ich dabei gewesen wäre, wäre ich wahrscheinlich ausgerastet. denn diesen anspruch auch an seine eigenen kinder zu stellen scheint mir wie eine zart heranwachsende blume mit einer tonnenlast erdrücken zu wollen.
cenk reagierte toll:"das würde ich sehr gerne machen!" , wie der anwalt mir gleich danach sagte. jahre später, als er selbst einen eindruck von cenk bekam, voller hochachtung erzählte er:" cenk hat das richtig ernst gemeint!"
ansonsten waren die reaktionen sehr unterschiedlich von "sind die beiden vielleicht schwul?" , bis "so etwas könnte ich nicht machen, meine eigenen eltern verleugnen!"
bis zum notar, der bei der beurkundung uns eine flasche rotwein schenkte "zur feier des tages, ich kann leider nicht mittrinken, ich muss noch arbeiten!"
auch in der familie wird cenk als neues mitglied nicht nur akzeptiert, sondern wegen seiner sensiblen art regelrecht geachtet. und die freunde, die sich schon an vieles in meinem leben gewöhnt haben sagen:"einen besseren sohn kannst du dir nicht backen!"
cenk schließt gerade sein studium mit der diplomarbeit ab. der abschluß allein und die tatsache, dass sein leiblicher vater lange jahre in deutschland versicherungspflichtig gearbeitet hat , garantiert ihm das aufenthaltsrecht., so daß eigentlich die adoption nicht mehr nötig wäre.
aber sowohl cenk, als auch ich wollen jetzt auch den letzten schritt zu ende bringen!
in den letzten 20 jahren habe ich meinen freunden und bekannten öfters die geschichte meiner schwester erzählt: gabi hat sich mit 19 jahren sterilisieren lassen, weil sie dem faschistiischen grundgedanken des "eigen Blutes" etwas entgegensetzen wollte:"ich will vorhandenes elend verringern nicht noch an einer überbevölkerung mitarbeiten!" gabi und ihr mann haben ein achtjähirges kind aus dem heim adoptiert und später noch ein zweites. sie haben den psychologen, die behaupten ein kind sei mit sieben jahren schon zu 75 prozent fertig (wenigstens eins haben wir alle im studium gelernt:trau keiner statistik, wenn du sie nicht selbst gefälscht hast!) , mit einer grundliebe getrotzt. die anderen menschen, die sich zu dieser gesellschaft zugehörig fühlten, haben den beiden nur steine in den weg gelegt. das war manchmal sehr schmerzlich und ging so an die grenzen, daß gabi an krebs erkrankt ist. aber trotzalledem haben sie ihm und der geselschaft ein lebenslanges dahinvegetieren im knast erspart. die freunde, die früher gesagt haben "warum müßt ihr euch das immer in eurer familie so schwer machen?" sind verstummt, angesichts ihrer probleme mit ihren eigenen kindern. und auch ich, der in jungen jahren ausgezogen ist, weil er das gerede von der blutsverwandtschaft nicht ertragen konnte, fahre sehr gerne nach hause (allerdings nicht zu weihnachten!),weil ich die familie als ein schiff ansehe, was gegen den strom schwimmt, und ich genieße es ein teil der besatzung zu sein - neuerdings sogar mit "meinem" sohn!




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