TAZ 7. 10. 1983


Die Taz vom Freitag den 7. 10. 1983

Knastherausgeber erzählt: Kuchen, Knast und Knebelkette

Am heutigen Freitag steht der Knast-Blatt-Herausgeber Ralf-Axel Simon wieder einmal vor dem Kadi. Wieder geht es um Beschinpfungen und Beleidigungen, mit denen er Staatsschützer und andere Beamte in seinem Knastblatt beschreibt. Bereits rechtskräftig verurteilt sitzt er seit dem 16.September eine Strafe von 16 Monaten ab. Wie es zu dem „übereilten“ Strafantritt kam, schildert Ralf-Axel in seinem nachfolgenden – von der Redation gekürzten –Erlebnisbericht.

Freitag Mittag 13,30. Mit vier Stückchen Kuchen passiere ich die Pforte des Gerichtskomplexes in Moabit unbeanstandet. Ich bin selbst erstaunt, denn normalerweise wird einem schon eine Banane beschlagnahmt. Ich will mit Staatsanwalt Kalf, quasi meinem Sachbearbeiter und damit auch meinem ärgsten Widersacher in der politischen Abteilung der Staatsanwaltschaft, heute, am doese, 16. September, ein Kaffekränzchen veranstalten.

Die Frage, was sich Staatsanwalt Kalf von dieser Vewrnehmung verspicht, weil er ja weiß, daß ich als Angeklagter das Recht zu einer Aussageverweigerung habe und ich dieses Recht ja nicht zum ersten mal beanspruche, führte sehr schnell zu der Erkenntnis:Er hat einen neuen Haftbefehl gegen mich in der Tasche! Er bringt nicht die Geduld auf meinen Strafantritt der spätestens in vier Wochen ist, die Verwaltung braucht solange dafür – abzuwarten, sondern will mich in der Zwischenzeit in U-Haft nehmen, aus welchen persönlichen Gründen auch immer. Obwohl das die einzig logische Begründung für Kalfs Verhalten ist, will ich es einfach nicht glauben und klammere mich an meine Hoffnungen an die juristische Lage:bislang hat sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht die Aufrechterhaltung des Haftbefehls abgelehnt, weil keine Fluchgefahr bestünde, zumal ich ja mit Wort und Tat dafür eingestanden bin, daß ich nicht klammheimlich verschwinden werde, sondern meine Arbeit „gefälligst verteidigen“ möchte. Mein innerliches Sträuben und Verdrängen der Tatsache, daß ich heute wohl das letzte Mal –zumindest für die nächsten zwei jahre – im erweiterten Hofgang gefrühstückt habe, weicht dem inneren Bedürfnis , diesen kalf zu treffen, ihn mit meiner Nichtachtung zu bestrafen – mit einem großen Kuchentablett in der hand, wohlwissend, daß Daß der Staatsanwalt als Beamter, der er ja nun mal ist, jegliches ihm angebotene Kuchenstück ablehnen muß, auch, wenn er es gerne essen würde. Außerdem weiß ich, daß es nichts Lästigeres gibt, als wenn man sich jemanden unterhalten will und der Gegenüber ißt einem was vor und spricht dabei bewußt undeutlich mit vollem Mund.

Kurze Zeit später erhalte ich grünes Licht zum eintritt. Natürlich lehne ich ab.Es dauert nicht lange, da komm Kalf persönlich wutschanaubend ras, in Begleitung zweier Staatsschutzbeamten. „was ich mir eigentlich denke, die Vernehmung würde in seinem Zimmer stattfinden“. Ich lasse ihn nach unten anrufen und die Sicherheitstruppe als Verstärkung anfordern, gehe aber dann freiwillig mit. Die Vernehmung ist dementsprechend kurz:nachdem ich allen Anwesenden ein Stück Kuchen angeboten habe und sie mit schmollendem Blick abgelehnt haben, esse ich genüßlich ein Stück Kuchen nach dem anderen und achte darauf (ich muß Fragen zu meinen Personalien), daß das immer mit vollem Mund geschieht. Die Beantwortung der Fragen zum Tatvorwurf (ich soll ein Flugblatt zu den neuen Knästen herausgebracht und darin die Senatoren, die an diesem bau verdienen, als Terroristen bezeichnet haben – Vorwurf: Verunglimphung des Staates), verweigere ich natürlich, ich habe ein Recht dazu.

An Kalfs Grinsen sehe ich, daß die Bernehmung vorbei ist und er zur Verkündung des Haftbefehls schreiten wird. In der Tat , was er sich da ausgedacht hat, ist reichlich mager. Da er vom Gericht keinen neuen Haftbefehl kriegt, hat er den alten wieder in Vollzug gesetzt. Ende Januar hatten die Bullen mich von zu Hasue abgemeldet . Die Staatsanwaltschaft behauptete dann, ich hätte keinen festen Wohnsitz, wobei der juristische Grund der Fluchtgefahr gegeben war, was einen Haftbefehl nach sich zog.

Ich will meinen Anwalt sprechen „Das können Sie in der Gothaer Straße“, erklärt Kalf mir , immer noch dieses provozierende grinsen auf den Lippen. „Ich rufe hier an!“ ist meine knappe Antwort. Bist du erst einmal in der Zelle, hast du kein Druckmittel mehr, dein Recht quase einzuklagen. Kalf verweigert mir erneut den Anruf, droht stattdessen mit der Sicherheitstruppe. „Ich rufe hier an, ansonsten gibt es einen Aufstand!“. Kalf zöger einen Moment, prüft wohl nach, ob ich nur zu allem entschlossen tue, reicht mir dann aber das Telefon rüber. Ich rufe meine Anwälte an, erreiche jedoch nur einen, weil bei dem anderen Mittagspause ist.

„Sie sind noch nie ED-behandelt, unglaublich!“ sagt Peters, der eine Bulle, der nur mit mir beschäftigt ist, und persönlicher –ich weiß nicht, ob man es Referent nennen kann, wohl kaum – ist.

Hinter der Glastür wird mir noch eine letzte Umarmung mit Gisela gestatttet.Ich merke, wie sie am ganzen Körper zittert . Warum eigentlich?Ahnt sie, daß ich nicht mehr herauskommen werde?Ich sag nichts, denn die kurze Zeit reicht nicht aus, ihr mein Leben zu erklären. Gern hätte ich ihr erzählt, daß Knast zu meinem Leben dazugehört, daß mir die letzten zehn Jahre so viel Spaß gemacht haben, wie noch nie. Und sie haben mich deshalb so befriedigt, weil ich die Gitter nicht mehr im Kopf hatte, die Gitter, die die anderen Menschen davor zurückschrecken lassen Knast zu riskieren. Warum soll ich auch traurig sein? Ähnlich wie ein Bankräuber, der seine Kohle verlebt hat, können sie mir meine Beute nicht mehr nehmen! Selbst, wenn ich den knast nicht überstehen, kann ich mir sagen, es hat sich gelohnt. Es hat mir Spaß gemacht, ich würde und werde es immer tun.

Im Polizeigefängsnis Gothaerstraße fahren wir in den Hof und gehen und gehen von da in den ersten Stock, zur erkennungsdienstlichen Behandlung. Bei den Bildern (Verbrecherfotos) achte ich darauf, ein möglichst freundliches Gesicht zu haben, denn dann wird es für die Presse schwieriger , der Bevölkerung klarzumachen, daß dieser lieb lächelnde Mensch ein ganz gefährlicher Verbrecher sein soll. Dann schreiten wir zur Fingerabdruck-Behandlung, nachdem ich mir vorher die Hände waschen mußte. Zuerst wird mein rechter Daumen auf ein Stempelkissen gelegt und dann auf ein Stück Papier gedrückt. Ich laß alles mit mir machen, komme willig den Anforderungen nahc, zucke jedoch beim Druck auf das Papier ein wenig, weil ich weiß, daß so die Fingerabdrücke nahezu wertlos sind. Der Bulle reagiert väterlich, „wir machen solange weiter, bis es klappt“ und „mach mir doch keinen Ärger, ich werde doch nicht befördert“. Etwa beim hundersten ungültigen Abruck wir er fuchsteufelswild, ändert seine Gangart“wenn du dich weiter eigerst, legen wir die Knebelkette an“. Die Knebelkette bort sich ins Fleisch, ich schreie. Der linke Bulle ruft:“Zerquetsch ihm die Knochen!“

Ralf-axel simon


(C) 2008 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken