"Eigentlich ist der Knast mein Leben"

alle Texte aus:Ralf-Axel Simon "Eigentlich ist der Knast mein Leben",Edition schwarz-rote Seele im Scheunenverlag Kückenshagen,1996, ISBN 3-929370-48-4

vor meiner Haft rieten mir meine Freunde:
Du mußt Deinen Kummer ertränken
nach meiner Haft
habe ich nur ein Problem:
wie bekomme ich
die Verantwortlichen
ins Wasser?
ralf-axel simon


"WIR SCHREIEN NACH LEBEN,NACH GEMEINSAMKEIT,NACH PLATZ FÜR DIE KINDER, NACH LICHT UND MEHR ZEIT. UND WIR WERDEN UNS TREFFEN AUF DER STRAßE IM KAMPF IN DER HAND EIN STÜCK VOM RANDSTEIN"

TOMMI LIEDERMACHER



ANGEKOMMEN

drei bullen-die von ihrer statur eher in ein militärgefängnis gehören- nehmen mir alles ab,von der armbanduhr über die schnürsenkel bis zum gürtel."kannst was auf die fresse haben", machen sie mir deutlich: ich bin im polizeigefängnis.

die einsamkeit in dieser eklig versyfften drei quadratmeter großen zelle, mit dem zusammenklappbaren wandbett, verdrängt die trauer über die verhaftung und vergrößert die sehnsucht nach dem knast.

endlich am nächsten morgen werde ich mit der minna in den knast verfrachtet-die pistolen im anschlag aber ohne acht (handschellen). die duschen sind immer noch im keller. sie lassen mir nur fünf minuten. es folgt eine nacht auf der zugangszelle. ähnlich versyfft wie in der bullerei,nur etwas größer und vor allem der ton der schließer macht deutlich:ich bin aufgestiegen.

die aufnahmeprozedur erstreckt sich auf einen ganzen tag,zwischendurch die unendliche warterei in diesen nach pisse stinkenden zellen.

1. station:eine kleine zelle mit dem großen schild:"durchleuchtungsraum". darunter hat ein gefangener gekritzelt "arschmeisterei". ich muß mich ausziehen und beweisen,daß ich unter den schuhsohlen, in den achselhöhlen nichts versteckt habe. die arschbacken werden mir auseinandergerissen, während ein dritter schließer merklich unbeteiligt lächelt:"na,ist ihr buch schon fertig!"

2.station: der knastarzt fragt mich, ob ich krank sei-ein knastarzt wird vom senator für justiz angestellt nicht vom senator für gesundheit,sonst hätte er nach meinen beschwerden gefragt.

3.station:die hauskammer ist im keller. neben meinen schnürsenkeln,dem gürtel und der armbanduhr bekomme ich alles zurück,was nicht gegen sicherheit und ordnung verstößt -ein dehnbarer begriff,denn mein schachspiel wird einbehalten -in den figuren hätte ich rauschgift verstecken können, wird mir unterstellt. ich werde vor die wahl gestellt privatklamotten oder anstaltskleidung. wenn ich mich für privatklamotten entscheiden würde,müßte ich die wäsche selbst waschen,kalt im handwaschbecken oder die prozedur auf mich nehmen einem bekannten die schmutzwäsche herauszugeben und sie gewaschen wieder einzubringen. also ziehe ich mich aus und werde als erstes mit einer unterhose -solche übergrößen gibt es draußen nicht,sie scheuert in den kniekehlen,eine echte fluchtbehinderung-beglückt. es folgt ein unterhemd ,das sicherlich für einen 14-jährigen gedacht ist, eine arbeitshose und ein hemd zum knöpfen mit immerhin noch einem knopf und socken, die ursprünglich einmal farbig waren und noch einmal solch eine unterwäschegarnitur `kreation knast`zum wechseln. den empfang meines bündels (zwei wolldecken,eine tasse,eine schüssel,ein teller und besteck) soll ich unterschreiben.meine frage nach dem `warum` führt vorübergehend zu verwaltungsirritationen, bevor der schließer für mich unterschreibt.

die gleiche unterschrift verlangen sie für das inventar meiner zelle,die mir anschließend zugewiesen wird. ich schlage dem stationsschließer vor sich hinsichtlich meiner unterschrift mit dem schließer in der hauskammer abzusprechen und mich damit nicht zu belästigen.

endlich bin ich angekommen in meiner alltäglichen entscheidung den neuen tag zu nutzen - dies als meine heimat zu bezeichnen fällt mir jedoch schwer.





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde ivan abgeurteilt. fünf jahre wegen autoschiebereien. "die hohen tiere in polen fahren alle mit einem geklauten mercedes rum.die papiere sind gut gefälscht-ich bin ein meister meines faches", prahlt ivan nicht in gebrochenem aber doch nicht ganz akzentfreiem deutsch,"die fahrzeuggestellnummer haben wir auch erneuert. am einfachsten waren die porsche, die zerlegten wir in einem tag und das gab gutes geld!"

ivan lebte drei jahre gut davon. entlassen, wird er in diesem beruf weiterarbeiten. "ich kann keine sozialhilfe beziehen,ich muß das gefühl haben,für mein geld zu arbeiten.gut der knast gehört dazu aber das nächste mal mache ich es geschickter:ich werde einiges geld auf die hohe kante legen!"

eins muß betont werden: ivan hat nie ein kleines auto geklaut,er hat nie dem kleinen mann auf der straße geschadet! nach dieser moral lebt er auch im knast: wo er konnte hat er die mittellosen unterstützt.

vor gut drei monaten kam dieser harte mann weinend zur freistunde:er hatte drei in russisch abgefaßte briefe an seine eltern herausgeschickt. das gericht brauchte sechs wochen um diese briefe zurückzuschicken und verlangte, daß er den dolmetscher bezahle.



"SON` JOB MÖCHTE ICH AUCH HABEN:ACHT STUNDEN ZIELLOS UMHER LAUFEN!" ZELLENINSCHRIFT





LEBENS-LÄNGLICH



MIT 30:

DAS STÄNDIGE SCHLAGEN

VON EISEN AUF EISEN

DAS SADISTISCHE LACHEN

AUF DEN NIRGENDWOGÄNGEN

DIESER TON

UNTER MÄNNERN

HIER LEBEN?

NIEMALS!



MIT 40:

ER LERNT SIE

IN DEM GEBRAUCH

IHRES SCHLÜSSELS

ZU UNTERSCHEIDEN

ER SUCHT NACH MENSCHEN

VERZWEIFELT

MIT 50:

AUS MITGEFÜHL WIRD HAß

SADISTISCHE FREUDE

GEWALT-PORNOS

SEIN AUSGLEICHSSPORT

ER IST ZUFRIEDEN



MIT 60:

WIRD ER PENSIONIERT

"EIN LEBEN

FÜR DEN STRAFVOLLZUG

DANKTE

DER MINISTERPRÄSIDENT

MONOTON HÖFLICH



TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde achim abgeurteilt.11jahre-für drei banküberfälle.der 33 jährige ganove alten schlages plante seine coups excellent. er achtete darauf,daß im schalterraum keine panik entsteht. beim letzten mal verfolgte ihn ein bankangestellter. achim schoß -lungendurchschuß. "das ist unprofessionell" schimpft er noch heute über sich.

achim hat schon vier jahre ddr knast abgemacht - die knäste nehmen sich nicht viel,die regeln sind etwas anders aber knast bleibt eben knast. und er erzählt ein wenig stolz, daß sie ihn nicht einmal in der verschärften einzelhaft klein bekommen haben:" morgens um halb sechs mußte ich mit dem vierkantschlüssel mein bett abschließen. zum arsch abwischen gab`s klopapier -keine alte zeitung-damit ich nichts lesen konnte.ich hatte zwei lieblingsspiele 1.mit den knöpfen von meinem hemd versuchte ich in meinen zahnbecher zu treffen und 2. mit meinem latschen versuchte ich das gitter meines fensters zu treffen, wenn der latschen steckenblieb, war es ein punkt.eines tages wurde neben mir eine frau eingeliefert. wir unterhielten uns mit dem klopfalphabet . immer, wenn ich von der freistunde kam,stellte ich mich vor ihre tür. ich bin öfters zur sau gemacht worden.aber eines tages hat ein wärter geschlafen und ich habe sie gesehen".

"elf jahre sind eine lange zeit", resümiert achim,"aber das geld haben sie nicht erwischt-elf jahre knast sind streng genommen der preis,den ich in meine rentenversicherung einzahle.aber dafür bekomme ich schon mit mitte vierzig meine altersversorgung!"

EIN GRAB-MAL

FÜR PETER

DU HAST GETÖTET

NACH EINEM JAHR

EINZELHAFT

SCHNITTEN DIR MIT-GEFANGENE

DIE HAARE:

IN WESSEN ZELLE

DEIN ZOPF HING

DEM MUßTEST DU DIENEN

NACH FÜNF MONATEN

ERWIRKTE DER PFARRER

DEINE VERLEGUNG

VOR ZWEI TAGEN

ORDENTEN SIE AN:

ZURÜCKVERLEGUNG

AM SELBEN ABEND

NAHMEN SIE DICH VOM

FENSTERKREUZ

HEUTE LEHNTE SICH

DER ANSTALTSLEITER ZURÜCK

SCHREIBTISCH-HÄNDE LIEßEN

DIE HOSENTRÄGER

ÜBER DEN BAUCH SCHNAPPEN:

"DAMIT KANN

ICH

LEBEN!"



TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde piere zu einer bewährungsstrafe abgeurteilt,weil er mit einem tieflader die eingangshalle des amtsgerichtes demoliert hatte. das amtsgericht hatte ihn schon zu acht knaststrafen verurteilt.

das gericht begründete dieses milde urteil damit, daß es mit beiden händen auf den angeklagten zugehen wolle.piere lief noch im gerichtssaal zornig an:" dieses urteil ist eine kriegserklärung!"

piere ist ein harter bursche. die wartezeit beim knastzahnarzt war ihm zu lange, da hat er sich den schneidezahn selber gezogen.

TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde bernhard zu 13 jahren abgeurteilt.mit seiner jugendgang drehten sie das erste große ding:einer reichen witwe nahmen sie die klunker ab. mit pistolen konnten und wollten sie nicht arbeiten, also besorgten sie clorophorm. in ihrer unerfahrenheit nahmen sie zuviel. die witwe wachte nicht mehr auf.

bernhard macht sich keine illusionen:"ich spekuliere nicht nach zwei drittel meiner strafe entlassen zu werden - in berlin sind es sowieso nur 7,8 % -weil ich die füße still halten müßte und das macht den knast zur hölle!"

"ANGESICHTS EINES LEBENS UNTER SOLCHEN HAFTBEDINGUNGEN, STELLT SICH DIE FRAGE, OB DER GEDANKE IM KAMPF DAGEGEN ZU STERBEN, NOCH SCHRECKEN KANN" ULRIKE MEINHOF





STELL DIR EINMAL VOR:

SIE SPERREN DICH

IN DAS KLO EINES ABRIßHAUSES

DRITTER HINTERHOF

STELL DIR EINMAL VOR:

DER,DER DICH VERACHTET

BRINGT DIR ESSEN

ZUM ÜBERLEBEN

LEBEN

WIRD DIR VERBOTEN

STELL DIR EINMAL VOR:

EIN JAHR

KEIN LIEBES WORT

STELL DIR EINMAL VOR:

ZEHN JAHRE

ANGESCHRIEEN ZU WERDEN

ICH WILL DIR DEN TAG

NICHT VERDERBEN

DU WIRST ES DIR

NICHT VORSTELLEN

KÖNNEN



TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde martin abgeurteilt. drei jahre,neun monate für einen absurden raub. es ging um den kauf von zigaretten im wert von 100000 dm. martin mit seinen drei tatgenossen hatte kein geld, die anderen keine zigaretten. martin`s gruppe war schneller:schon in den fahrstuhl sprühten sie tränengas und zogen zur abschreckung die pistolen. umgekehrt wäre es besser gewesen, denn durch das tränengas sahen die überfallenen nicht die waffen und zogen ihrerseits die pistolen. einer der überfallenen schoß bevor ihm die waffe aus der hand geschlagen wurde.der querschläger drang dem einen durch den kopf, dem anderen durch den arm.beides glücklicherweise keine lebensgefährlichen verletzungen.seit einem halben jahr ist martin in u-haft. die anklageschrift lautete auf versuchten totschlag. erst die hauptverhandlung ergab, daß martin nicht geschossen hat. aber dieses halbe jahr untersuchungshaft war überschattet durch die drohung von 15 jahren haft."es wäre nicht das erste mal, daß ein unschuldiger wegen totschlags verurteilt wird", hatte er sich öfters beim hofgang beklagt.seine freundin besorgte ihm draußen einen wahlverteidiger, so daß der vom gericht verpflichtete pflichtverteidiger -die gerichte geben gerne dem rechtsanwälten die mandate,die ihnen nicht zu viel arbeit machen- ersetzt werden konnte. so genommen hat seine freundin ihm vielleicht 12 jahre haft erspart.



"DER STEIN,DEN WIR IN DIE KOMMANDOZENTRALEN DES KAPITALS WERFEN,UND DER NIERENSTEIN,AN DEM EIN ANDERER LEIDET,SIND AUSTAUSCHBAR - SCHÜTZEN WIR UNS VOR NIERENSTEINEN!"

SOZIALISTISCHES PATIENTENKOLLEKTIV HEIDELBERG





ZEIT OHNE MENSCHEN

KÜNSTLICHES LICHT

ENTSCHLOSSENE AUGEN

GESCHALTET

VERWALTET

GEREGELT

TAGE-LANG

WOCHEN-LANG

JAHRE

GESTERN?

HEUTE?

MORGEN?

NEIN,VORGESTERN!

ANGST

VOR DEM NICHTS

AUS DEM NICHTS

IN DEN HUNGER

OHNE ERINNERUNG WONACH

SCHWANKUNGEN

NACH JAHREN

IN SEKUNDENSCHNELLE

DIE ZELLE

MEIN SCHNECKENHAUS

ENTLASSEN

MEIN GLASKÄFIG

HINDERT MICH

EUCH ZU BERÜHREN

BEGRÄBT EWIG

MEIN VERTRAUEN

DOCH DIESES SICHERE GEFÜHL

STÄRKT





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde alex abgeurteilt. seit einem halben jahr ist er mit seinen quälenden gedanken und der drohenden strafe von 15 jahren haft, wegen rauschgiftschmuggel,allein. als er zum urlaub in der türkei war, haben sie seinen wagen präpariert."ich bin unschuldig " hat er mir gegenüber immer wieder beteuert. heute nun hat die odyssee ein ende:er wird freigeprochen und entlassen. die rauchgiftfahnder haben sich eben geirrt. alex wird eine enschädigung bekommen, 10 dm pro hafttag - was sind 10 dm für diese höllenqualen.

ich hatte mich mit alex angefreundet-hatte mich gefreut ihn bei der freistunde zu sehen -ich bleibe alleine zurück.dieses gefühl der einsamkeit weicht aber bald dem der freude: ich kenne kaum einen gefangenen, dem ich die freiheit mehr gönne- zumal er schon zwei selbstmordversuche hier drin hinter sich hat.





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde ernst abgeurteilt. 3 jahre und neun monate. das bka, dem er die eigenhändig gefälschten dollarscheine verkaufen wollte, bescheinigte ihm:das ist die beste arbeit im letzten jahrhundert. "die druckplatten haben sie nicht erwischt", sagt er ein wenig stolz.

ernst will mit dem gemeinen knacki nichts zu tuen haben. auch die freistunde nutzt er nicht dazu mit den anderen gefangenen zu reden-er läuft mit im kreis aber hat die augen immer auf ein buch gerichtet.



AUS DER PROZESSERKLÄRUNG EINES MENSCHEN, DER SCHON 30 JAHRE ABGEMACHT HAT:"WENN ICH DAVON AUSGEHE, DASS DIESE GESETZE ALS GESAMTPAKET DIE REICHEN IMMER REICHER UND DIE ARMEN IMMER ÄRMER MACHEN, DANN BIN ICH DARAUF STOLZ, DAS ZU SEIN, WESSEN IHR MICH BESCHIMPFT: EIN KRIMINELLER!"





DER STETE MENSCHENTROPFEN GEGEN DEN VERSTAND

10 JAHRE HEIM

20 JAHRE KNAST

WOLFGANG WOLLTE KEIN MITLEID

KASSIERTE

AM ENTLASSUNGSTAG

DIE ANZAHLUNG DES PREISES

DEN DIE MENSCHHEIT

IHM

SCHULDIG GEBLIEBEN IST



WOHN-HAFT

MIT 18

IHR ERSTER KONTAKT

DAUERTE 12 JAHRE

MIT FREIHEIT

KONNTE SIE NICHT UMGEHEN

DANN IM URLAUB:

LEBENSLÄNGLICH

KLUGE BÜCHER

ÜBER EHE UND FAMILIE

ALS GITTER

3 KINDER

ALS UNÜBERWINDLICHE MAUER

KONTORVERSEN

MIT IHREM MANN

KANNTE SIE NICHT

ALS ER AUSBRECHEN WOLLTE

PLÖTZLICH

TAUSCHTE SIE

DIE GITTER IM KOPF

MIT DENEN AM FENSTER

DAS LEBENSLÄNGLICH BLIEB

NUR DIE PERSPEKTIVE EINE ANDERE:

SIE KANN

NACH 15 JAHREN

GEGNADIGT WERDEN





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde heinz in den buncker verbracht - die schmerzenschreie waren im ganzen haus hörbar. beim frübstück fassen sagte der schließer: mit schlappen kriegen sie nichts. heinz, ohnehin nicht gut drauf, befahl dem kalfaktor die kelle aus dem kaffeebotich zu nehmen. danach schmiß heinz den kaffeebottich über die galere- der kaffee verteilte sich vom dritten stock über den ganzen flügel.

heinz ist wegen einer eifersuchtskiste eingefahren. auf flucht schoß er auf einen passanten und verprügelte einen bullen, jetzt hat er 36 jahre abzusitzen. "wenn ich nicht mehr an flucht denken würde, hätte ich mich mit meinem tod abgefunden!", sagt er. er wurde hierher verlegt,weil moabit einer der sichersten knäste in europa ist und hofft irgendwann einmal in den normalvollzug zurückverlegt zu werden. bei meiner einlieferung ließ er mir ein päckchen tee schicken mit einem brief:wenn du was brauchst,sag bescheid.viel kraft heinz.

wenn ihm die flucht mal glückt, habe ich keine angst um ihn. er ist ein mann, der in der illegalität überlebt, ein ganove durch und durch mit herz und ehre.



"WIR SIND IN EUROPA DAS EINZIGE LAND, INDEM EINE NACKTE FLUCHT NICHT BESTRAFT WIRD" DAMIT BRÜSTETE SICH EIN RICHTER AUF EINER VERANSTALTUNG ZU "10 JAHRE STRAFVOLLZUGSGESETZ"





DEMO-KRATIE

DER GEFANGENE ERHIELT

VIER MONATE NACHSCHLAG

WEIL ER ZWEI GITTERSTÄBE

DURCHGESÄGT HATTE

UND FÜNF MONATE

WEIL ER NICHT WUßTE

DAß ER DIE FLUCHTKLEIDUNG

INNNERHALT VON 48 STUNDEN

ZURÜCKBRINGEN MUß

VOLLZUGS-OLYMPIADE



Euer Korrespondent aus Mauerbit berichtet.

Die heutige Folge:"mit ihren Füßen zu laufen,

ist aus medizinischen Gründen nicht zu verantworten!"

aus unserer beliebten Sendereihe:

"er wäre sicher nicht Anstaltsarzt geworden,

wenn er etwas von Medizin verstünde!"





Seit einem Monat bin ich in Totalisolation. Wenn ich eine Weile nicht geredet habe, besitze ich kein Verlangen. Ich pflege die 24 Stunden Kommunikation mit der Klobrille und vermisse nichts.

Seitdem ich von einem Arzt hörte, der Laufen gegen Krebs verschreibt, bekämpfe ich das Krebsgeschwür Knast mit Laufen während des Einzelhofgangs. Die klobigen Anstaltsschuhe führen dabei zu Hackenschmerzen, aber die Anstalt weigert sich mir Turnschuhe zu geben, weil ich nicht am Sport teilnehme. Sport darf ich nicht mitmachen, weil ich in Totalisolation bin - die bürokratische Katze beißt sich in den Schwanz. "Ordnung muß sein, sprach der Anarchist, und warf eine Bombe in`s Rathaus!",habe ich einen mit Zahnpasta befestigten Briefausriß an meiner Zellenwand befestigt "

Heute früh schreibe ich einen Vormelder zum Orthopäden-ich begründe meinen Turnschuhwunsch medizinisch. Hier begehe ich einen schweren Fehler: auch ein Gefangener sollte Rücksicht auf die Ausbildung eines Schließers nehmen und keine Fremdwörter benutzen. Aber immerhin ich werde noch am gleichen Tag dem Arzt vorgeführt - es wird nicht einmal wie üblich ein Sani vorgeschickt, der mich mit Pillen bestechen soll- wahnsinn. Im Gesicht des Arztes sehe ich die Enttäuschung:"oh lieber Gott, der schon wieder, laß den Kelch an mir vorübergehen!"."Ja Turnschuhe", sagt er, "da kann ich garnichts machen, da können ja alle kommen!". Er blättert in meinen Akten und würdigt mich keines Blickes. Plötzlich stutzt er über die Beschwerde meines Anwaltes in einer anderen Sache:"dann überweise ich sie zum Chirurgen!". "Ich darf sie nicht gleich zum Orthopäden überweisen", beantwortet er mein ängstliches Gesicht, "weil der ist nur eine Stunde im Monat da. Der Chirurg entscheidet, ob sie weiter überwiesen werden!" Knastlogig.

6 tage später:

"Es geht los Männer, zur Chirurgie" ruft Dressman, 165cm groß, der schönste Mann unter den Schließern. Sein Parfümgeruch unterscheidet sich von dem üblichen Schweißgeruch und sein freundlicher Ton hinterläßt das Gefühl, ernst genommen zu werden, als wir vom B-Flügel über den Hof in das einzige Berliner Vollzugskrankenhaus geführt werden. "15cm lange Blinddarmnarben, Entzündungen durch mangelnde Hygiene, Arzt-kunst-fehler sind keine Seltenheit", fällt mir der Ausspruch einer ehemaligen Knastärztin ein. "Ich möchte lieber in weiße, statt in schwarze Wäsche gebettet werden", murmelt ein älterer Haftkollege.

Wir warten in der vierten Etage vor einer großen Tür mit der Aufschrift "Chirurgie". Einige Schließer schwärmen von dem gestrigen Bankraub:"die sind nur zehn Minuten eher gekommen als der normale Geldtransport, verkleidet wie die Offiziellen. Das ist juristisch nicht einmal Raub und für `ne halbe Million kannst du schon mal `nen Jahr Knast abmachen!"

"Herr Simon bitte", eine freundliche Arzthelferin übergibt mich einem blutjungen Arzt, der mir die Hand reicht-für einen Dürstenden mehr als eine höfliche Geste.

Zur Eile ermahnt stellt man mich für den Fußstriptease auf einen Hocker. Der weiße Kittel geht um mich herum, faßt meine Füße an, geht sichtlich unruhiger um mich herum:"das sind doch ganz normale Füße!". Ein zweiter Arzt lugt über seine Lesebrille und ruft mit dem Gestus einer naturwissenschaftlichen Entdeckung:"sie brauchen Einlagen!" Ohne meine Reaktion abzuwarten verschwindet er und der Oberarzt bestimmt:"Turnschuhe werden nicht bewilligt, Einlagen sind richtig!" Auf meinen erstaunten Blick liefert er die wissenschaftliche Begründung nach:"mit ihren Füßen zu laufen ist medizinisch nicht zu verantworten!". Die Diagnose ist gestellt, die Therapie angeordnet und ich werde sanft zur Tür rausgedrückt. Meinem Zellennachbarn, der sich bei seiner Flucht einen Hackenbruch zugezogen hat, haben die Ärzte die Einlagen verweigert, weil er noch keine 6 Monate in der Anstalt weilt. Mir fällt der Satz meines Freundes P.P. Zahl ein:"wer den Strafvollzug als Wahnsystem erkannt hat, der wird sich nicht mehr die Aufgabe machen, diesen Wahn zu reformieren!"



"ICH WEIß WÜRDEN WÜRDEN EINGESPERRTE AUCH OHNE FREISTUNDE ÜBERLEBEN, BEKÄMEN WIR KEINE!" MARIANNE HERZOG





FEIERABEND

15 uhr

JEDEN TAG:

ABENDBROT

DER BEAMTE SCHLIEßT

ZWEIMAL

SCHIEBT DEN RIEGEL VOR

UND SCHREIT:

"SCHÖNEN FEIERABEND"

ERSCHRECKT

DREHE ICH MICH UM

ZUM FENSTERKREUZ





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde willy abgeurteilt. zwei jahre acht monate -natürlich ohne bewährung."ich bin fixer, seit zehn jahren - mit brüchen habe ich es nicht so, da mußte ich dealen!". willy rechtfertigt nicht sein handeln, für ihn ist dealen ein schweres verbrechen "aber ich bin süchtig" fleht er mich um verständnis an.

ich mag diesen hageren,von der sucht gezeichneten mann, mit dem ich seit fast drei monaten den freistundenhof teile. er ist mir näher als die weißen kragen, die keine "schuld" auf sich geladen haben.vielleicht ist er mir auch wegen seiner erfolgreichen weigerung, dienst mit der waffe zu tuen so symphathisch:"freunde haben immer gesagt, das hälst du nicht durch. aber ich habe mich penetrant geweigert und nur nach dem arzt verlangt, bis ich in das lazarett kam. war nicht wild, hatte ein stück shit eingepackt-da hat mich das drum herum nicht gestört. als der 0berarzt mich mit der langen matte sah rief er nur panisch:"der muß hier raus". und ich wurde tatsächlich wegen leistungs- und funktionsstörungen entlassen, bei vollem lohnausgleich - noch ein halbes jahr konnte ich meinen sold monatlich abholen".





"DIE WÜRDE IST DER DOCHT IN DER KERZE UNSERES LEBENS" ZELLENINSCHRIFT





VERNEHMUNG

SIE BOTEN MIR

KAFFEE AN

SIE BOTEN MIR

ZIGARETTEN AN

SIE BOTEN MIR

MEINE ENTLASSUNG AN



ES WAR

EINE SCHRECKLICHE ZEIT



"DIE TOTEN SIND IN DER REGEL SCHNELL VERGESSEN;ABER DIE LEBENDEN KÖNNEN EIN DORN IM FLEISCH DER UNGERECHTIGKEIT SEIN!" ZELLENINSCHRIFT





GEDANKEN BEIM HOFGANG

BEIM RUNDEN LAUFEN

ÜBERFÄLLT MICH

WAHNSINNSLUST

MEINEN KOPF ZU RAMMEN

GEGEN DIESEN SCHLIEßER

DIE BUNKERSTRAFE

UND DIE SCHLÄGE IM KELLER

WÄREN DER PREIS

DEN ICH ZAHLEN WOLLTE

FÜR DIE GENUGTUUNG

DIESER GRAUEN RATTE

MIT SCHLÜSSELGEWALT

MEINEM DICKKOPF

SPÜREN ZU LASSEN

IM LETZTEN MOMENT

WEICHE ICH AUS:

ICH BIN IM ERSTEN MONAT

DER ISOLATIONSHAFT

HEBE MIR DIE FREUDE AUF

FÜR DEN SECHSTEN MONAT

WEGEN DER VORFREUDE!

"SIE WERDEN GEWINNEN MIT IHRER NACKTEN GEWALT, ABER SIE WERDEN NICHT SIEGEN, DAZU MÜßTEN SIE BESITZEN,WAS IHNEN FEHLT:VERNUNFT UND DAS RECHT ZU IHREM HANDELN"

ZELLENINSCHRIFT





ZEIT

DEIN STÖHNEN

DIE GANZE NACHT

DURCHDRANG

WENIGSTENS

DIE VERLIEßMAUERN

ICH HÖRTE

ICH BIN NICHT ALLEIN

VOR EINEM JAHR

HABE ICH AUCH

NOCH

GESCHRIEEN





TAGEBUCH-NOTIZEN

aus der taz erfahre ich:alfred ist tot! mit ihm war ich eingeliefert worden. er ist auf dem transport in ein normales krankenhaus gestorben. erst vierzigjährig,an der lunge erkrankt,hat die anstalt sich geweigert ihn frühzeitig extern behandeln zu lassen. er hatte nur noch zehn monate abzusitzen!

es ist der alptraum eines jeden gefangenen:im knast zu sterben.



"PROTEST IST,WENN ICH SAGE DAS UND DAS PAßT MIR NICHT -WIDERSTAND IST,WENN ICH DAFÜR SORGE,DAß DAS,WAS MIR NICHT PAßT,NICHT LÄNGER GESCHIEHT!" ULRIKE MEINHOF





KONSEQUENT

WIR

REDETEN VIEL

IN DER POLIZEIHAFT

ER

VERLANGTE NACH SCHNAPS

PIßTE IN DIE ZELLE

"DAS KANNST DU DOCH NICHT"

SCHRIE DER BULLE

UND RANNTE

BEIM ERSTEN STRAHL





TAGEBUCH-NOTIZEN

willy wurde heute abgeurteilt: drei jahre,vier monate.

gestern hat er mir noch versichert:"sieben brüche sind angeklagt - aber zwei habe ich wirklich nur getan!".ich glaube ihm,ich kenne die gängige praxis der schreibtischtäter,um die statistik der aufgeklärten straftaten zu beschönigen.

gestern noch träumte er davon auf bewährung entlassen zu werden:"dann mache ich ein musikcafe auf, so ein richtiges gemütliches musikcafe! und abends fahre ich dann nach hause zu meiner familie -in zwei monaten kommt mein sohn zur welt!"

willy hat die typische heimkariere hinter sich.schon mit 14 war er auf trebe und wurde drei tage und drei nächte von der mordkomission verhört. "nur zwischendurch haben sie mich ein paar stunden schlafen geschickt. es war die schlimmste zeit meines lebens, ich dachte, ich komme da nicht mehr raus! erst zwei wochen später haben die täter gestanden, daß ich mit dem mord an der frau nichts zu tuen hatte! aber es hat sich keiner bei mir entschuldigt!"

heute abend wird willy in das haftkrankenhaus eingeliefert:er hat sich die pulsadern aufgeschnitten.





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde henry abgeurteilt:2 jahre vier monate.

"die sitze ich doch mit einer arschbacke ab", erklärt henry stolz. er hatte über eine million dm ergaunert, weil er häuser verkauft hatte, die ihm nicht gehörten."war ganz easy, die einzige invetition,die ich hatte war ein faxgerät". das geld hat er in der schweiz deponiert:"jeden tag,den ich hier absitzte verdiene ich über 2000 dm - das ist ungefähr soviel wie die schließer-schergen im monat verdienen!"

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TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde benny hingerichtet. am nachmittag klopfte er an meine zellentür:"du,ich werde gerade entlassen,das gericht sprach eine bewährungsstrafe aus",freute er sich. ihn hatten sie mit zwei kilo heroin erwischt -die milde strafe hat er seinen aussagen zu verdanken, die die mitangeklagten schwer belasteten. wenn er nur ein bißchen nachgedacht hätte..., denn das lassen sich seine mitangklagten sicher nicht gefallen. irgendwann in den nächsten tagen werden sie ihn auf einer bahnhofstoilette auffinden mit einer überdosis.

der klang seiner blockflöte am nachmittag (er ist der einzige gefangene, dem seine blockflöte ausgehändigt wurde,nach hartnäckigen beantragungkampf. normalerweise wird die blockflöte abgelehnt wegen sicherheit und ordnung-denn die schließer könnten den ton mit dem alarmton verwechseln.)

wird mir ewig im gedächtnis bleiben.





DER PROZEß

ZEHN JAHRE KNAST

3640 TAGE

GRENZENLOSE ERNIEDRIGUNG

87360 STUNDEN

HAß

2631600 MINUTEN

HOFFNUNGEN

ENDLICH

DRAUßEN

OFFENE WUNDE

SCHMERZEN

VERNARBEN NICHT

NIE

EIN RINGEN

IM KREISLAUF

DU FÜGST DICH

DER STATISTIK

KEHRST

ALS VERBRECHER

HEIM

HIER

SPRICHST DU

DIE GLEICHE SPRACHE

ETWAS HAST DU

VERLOREN:

DIE HOFFNUNG



"EIN GEFANGENES TIER HAT ZWEI MÖGLICHKEITEN:SICH ENTWEDER ZUSAMMENZUROLLEN UM ZU STERBEN ODER SICH DAS BEIN ABZUBEIßEN UM SICH ZU BEFREIEN". ZELLENINSCHRIFT





DIE RATTE BRUNO

ist noch nicht erwachsen - vielleicht will er es nie werden - als er von den Menschen in einen winzigen Käfig gesperrt wird. Vorne Gitter, hinten Gitter, an den Seiten Gitter:"was haben wir den Menschen getan? Wir essen das, was sie wegwerfen, laufen weg, wenn wir können, nur, wenn wir keine Wahl mehr haben, gehen wir kämpfend unter!" Bruno wäre manchmal lieber tot als weiter diese qual, immer im Kreis und mit sich selber, aushalten zu müssen. "Früher hatte ich immer Hunger", denkt er, "warum habe ich mir über solche Probleme ernsthafte Sorgen gemacht?"

Der Mensch pisakt Bruno mit seinem Zeigefinger. Bruno will zuschnappen und fällt auf die Nase. Das Lachen des Menschen verfolgt Bruno bis in seinen Traum. Am nächsten Tag ignoriert Bruno den Finger. Auch, als der Mensch ihn noch tiefer in den Käfig steckt, wartet Bruno geduldig - bis er blitzschnell zuzwickt. Bruno hört einen Schrei und sieht Sterne:"das ist das Ende!" denkt er. Nach einer Weile wird der Käfig auf seinen alten Platz gestellt und Bruno`s Schmerzen werden gemindert durch das sichere Gefühl:"ich kann etwas, was ihm fehlt!" Bruno ist stolz:"ich lebe und meine Lage ist nicht hoffnungslos, wie das Schicksal meiner Freunde, die die Menschen mit einem rostigen Nagel an die Wand schlagen, damit die erbärmlichen Todesschreie die anderen Ratten abschrecken.

Der Mensch wird seinen Fehler machen!" Bruno läuft von Zellenwand zu Zellenwand, trainiert alle Muskeln und schreibt alles in seinem Gedächtnis auf und wartet und wartet und wartet. Seine Barthaare sind grau am entscheidenden Tag. Am Abend, als der Mensch die Wohnung verlassen hat, öffnet Bruno vorsichtig das Tor, kriecht durch die Wohnungstür und erreicht den Keller. Die anderen Ratten sind ihm fremd, nur eine Ratte kennt er noch von früher. Doch alle Ratten freuen sich mit Bruno - er muß viel erzählen. Mit seinem Wissen über die Menschen rettet er vielen Ratten das Leben. Und den jungen Ratten sagt er immer wieder:" der Mensch ist größer und stärker, aber wir Ratten sind geschickter und warten auf den richtigen Augenblick!"



"WIEVIELE WUNDEN HÄLT EINER AUS,BEVOR MAN DIE WUNDEN ENTDECKT" INA DETER





REGEL-VOLLZUG

SPRECHEN AM FENSTER

KAHLSCHLAG

SIE

NEHMEN

ALLES PERSÖNLICHE

AUS DEINER ZELLE

REDEN DURCH`s KLO

PRÜGEL

NUR DEIN GRINSEN

NACH 20 JAHREN HAFT

KÖNNEN SIE

NICHT

REGELN





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde erich abgeurteilt: vier jahre wegen scheckbetrügereien. "brüche habe ich einfach nicht drauf", entschuldigt er sich. irgendwie scheint er einen leichten schatten zu haben, zumindest kann er nicht zwischen freund und feind unterscheiden - er hat schon alle mal abgelinkt.

vor ein paar jahren hat er sich aus dem knast heraus ein segelboot anliefern lassen. "das stand drei tage vor der anstalt-die wußten nicht,was sie damit machen sollten", erzählt er stolz. "gut",sagt er ein bißchen wehmütig,"mir hat es drei monate nachschlag eingebracht,aber dafür war ich auf der ersten seite in der bild-zeitung!"





"WER WIRKLICH EMPÖRT,ALSO BETROFFEN IST,SCHREIT NICHT,SONDERN ÜBERLEGT,WAS MAN MACHEN KANN!" ULRIKE MEINHOF





UNTERSCHIEDE

DRINNEN

SPERREN SIE

MEINEN KÖRPER EIN

ICH SCHÄRFE

MEINEN KOPF

ZUR KLINGE



DRAUßEN

SPERREN SIE

MEINEN KOPF EIN

ICH SOLLTE

MEINEN KÖRPER

ZUR WAFFE

TRAINIEREN





TAGEBUCH-NOTIZEN



heute wurde siggi abgeurteilt:zwei jahre.alles fing an mit einer kneipenwette.mit halbbesoffenem kopf hat er sich auf dem busdepot einen bvg-bus geschnappt."ich habe dem pförtner was rotes hingehalten, und der hat geglaubt, das wäre mein ausweis",erzählt er "und dann habe ich erst einmal meine freunde besucht.hab`mich aber nie lange aufgehalten, weil ich den bus ja in zweiter spur parken mußte".

siggi`s lebensgeschichte ist tragisch-komisch. mit 15 haben sie ihn das erste mal auf dem moped erwischt:führerscheinsperre.bei seiner lehre als autoschlosser mußte er den wagen zum tüv fahren. an drei aufeinanderfolgenden tagen standen die gleichen bullen und nahmen immer wieder den gleichen tatbestand auf:fahren ohne führerschein. das ergab das erste mal zwei jahre knast.insgesamt hat er jetzt schon 8 jahre knast, immer wegen des gleichen deliktes, hinter sich. und das mit 35 jahren. den führerschein konnte er nie machen, weil die sperre über die knastzeit hinaus ging.



WIR HABEN UNS IHRE ZELLE ANGESEHEN,SIE MÜSSEN MAL AUFRÄUMEN!"

STANDARDSPRUCH DER SCHLIEßER





ZELLENFILZUNG

2 MAL DIE WOCHE

MANCHMAL

2 MAL AM TAG

ROUTINE:

ZERRISSENE BRIEFE

PHOTOS MIT FUßABDRÜCKEN

AUS KUCHEN WERDEN KRÜMEL

DOCH SIE HABEN

ES WIEDER

NICHT GEFUNDEN



"ZAHME VÖGEL SINGEN VON FREIHEIT -WILDE VÖGEL FLIEGEN!"

ZELLENINSCHRIFT





BETTELN

MIT PISTOLE

DER ARBEITSLOSE

HETZTE

MIT SPIELZEUGPISTOLE

IN DEN SCHALTERRAUM



DER BANKANGESTELLTE

RISKIERTE

SEIN LEBEN



DAS GERICHT

VERURTEILTE

WEGEN "GROBEN UNFUGS"

AUS "NIEDEREN BEWEGGRÜNDEN"

ZU 10 JAHREN THERAPIE:

DEN BANKANGESTELLTEN





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde hans abgeurteilt. fünf jahre wegen bankraub.mit zwei promille im blut hatte er die bank um 10 tausend ("es ist alles nicht mehr wie früher-heute haben sie nur noch ein taschengeld in ihrer kasse") erleichtert. es war die bank, in dem wohnhaus, wo er zu besuch war. "weiter hätte ich es nicht mehr geschafft", erklärt hans,"wenn die mich angestoßen hätten, wäre ich umgefallen!".

hans ist kein unbeschriebenes blatt. insgesamt 20 jahre hat er schon abgemacht, immer wegen bankraub:"hab`nichts anderes gelernt". aber das betreibt er mit perfektion: selbst mit dem fahrrad ist er der bullen- fahndung überlegen - er kommt fast immer weg. hans ist eine persönlichkeit,ein grundauf ehrlicher mensch-ich könnte ihm 10 tausend in die hand drücken und wäre mir sicher, sie am nächsten tag zurückzubekommen. sein verhältnis zu banken entspricht dem von berthold brecht:was ist der raub einer bank gegen das betreiben einer bank?



"DIE TOTEN SIND IN DER REGEL SCHNELL VERGESSEN; ABER DIE LEBENDEN KÖNNEN IMMER WIEDER EIN DORN IM FLEISCH DER UNGERECHTIGKEIT SEIN" ZELLENINSCHRIFT





SEHNSUCHT

IHR

WARD SCHON LANGE

EIN PAAR

DU

MIT DEINEN DREIEINHALB JAHREN

ER

LEBENSLÄNGLICH

DEINE ZEIT WAR UM

OHNE WOHNUNG

OHNE ARBEIT

VOLLER SEHNSUCHT

NACH ALLEM

WEIHNACHTEN

FEIERTEST DU

ALLEINE

IN EINER VILLA

AßT, TRANKST

VOM FEINSTEN

DIE ALARMIERUNG DER BULLEN

KONNTEST DU NICHT ÜBERHÖREN

DOCH ES GAB NOCH

SEKT IM KÜHLSCHRANK

"WARUM NUR?"

SCHÜTTELTE DER STAATSANWALT

DEN KOPF

DU SAHST IHN AN

UND WARST FROH

ALS ER

ZUR TAGESORDNUNG

ÜBERGING

TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde lothar abgeurteilt. zwei jahre neun monate,als ersttäter. von einer zechtour kommend,wollte er etwas gegen die trostlosigkeit seiner arbeitslosigkeit tun, und torkelte mit einer 50 jahre alten pistole zwei kilometer zur nächsten nachttankstelle. der tankwart hielt es für einen scherz, griff nach der pistole, worauf ein stück abbrach und lothar wieder nach hause dackelte.

seine strahlenden augen -als ich ihm einmal beim hofgang ein stück butter mitbrachte- werde ich nicht vergessen, er hat sich gefreut wie ein kind.





"SIE KÖNNEN UNS AUSHUNGERN; DOCH UNSEREN WILLEN BRECHEN SIE NICHT!" ZELLENINSCHRIFT





GEFANGEN

AN MEINER ZELLENTÜR STEHT:

DIE GEFANGENENNUMMER

AN MEINER ZELLENTÜR STEHT:

EINZEL-HOF-GANG

AN MEINER ZELLENTÜR STEHT:

AUSSCHLUß VON ALLEM

AN MEINER ZELLENTÜR STEHT:

KEIN NAME





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde erwin`s revision angenommen. es kommt zur erneuten verhandlung. das gericht hatte verfahrensfehler begangen. erwin ist seit über fünf jahren in untersuchungshaft und das obwohl das gesetz vorschreibt, daß die untersuchungshaft nur in ausnahmefällen ein halbes jahr überschreiten darf. sein anwalt hat schon mit dem neuen gericht verhandelt. der zuständige richter:"ich kann ihren mandanten nicht freisprechen, denn dann hätte er ja umsonst gesessen und könnte das land berlin schadensersatzpflichtig machen." erwin hat sieben jahre bekommen für einen raub, den er -wie er behauptet- nicht begangen hat.

das ist kein einzelfall und hat durchaus seine justizökonomische kalkulation: untersuchungshaft wird deutlich schlimmer als strafhaft empfunden, das führt dazu, daß viele gefangene ihre rechtsmittel nicht ausschöpfen-sie akzeptieren auch dann ein urteil, wenn sie meinen in der berufungsinstanz besser zu fahren. denn unter den gefangenen gilt:lieber zwei jahre normalvollzug als ein jahr untersuchungshaft!

durch diesen trick erspart sich die justiz viel arbeit.

43

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"AUCH,WENN IHR UNS SCHLAGT MIT EURER MACHT UND EUREM RECHT,UNSERE TRÄUME NEHMT IHR UNS NIE!"

ZELLENINSCHRIFT





ALL-TAG

EIN AUGE

IN DER ZELLE

EIN OHR

AUF DEM GANG

KOMMEN SIE?

WAS DÜRFEN SIE FINDEN?

WIE EINE KATZE

VOR DEM SPRUNG

TAG UND NACHT

MICH FALLEN ZU LASSEN

VERGAß ICH

UM NICHT ZU VERLIEREN





TAGEBUCH-NOTIZEN

heute wurde susi abgeurteilt. zwei jahre,vier monate - sie ist drogenkrank. als transvestit kämpft sie dafür in den frauenknast verlegt zu werden.manchmal beneide ich sie: wenn ich meine interessen durchsetzen will, kommt es gleich zur konfrontation-über susi lachen sie nur. seit einem halben jahr sehe ich susi während der freistunde. sie ist fast immer aufgedreht und genießt es im mittelpunkt zu stehen. in einer ruhigen minute habe ich sie gefragt, ob sie nicht darunter leidet belächelt zu werden. sie hat nur gelacht und gesagt:"warum leiden, ich kann alles sagen, keiner faßt sich an seine eigene nase und deshalb nimmt mir keiner etwas übel. gibt es eine größere freiheit?"



"DER KAMPF UM DIE POLITISIERUNG DER GEFANGENEN KANN NICHT OHNE EUER INTERESSE,OHNE EURE SOLIDARITÄT GEFÜHRT WERDEN. WENN DAS GESCHLOSSENE SYSTEM,IN DEM DER FEIND ALLE MITTEL HAT,GEWALT,PRIVILEGIEN,PSYCHATRIE,VERLEGUNG USW. ,DURCHBROCHEN WIRD,WENN IHR DER GEWALT DER SCHWEINE DIE GEWALT DER STRAßE ENTGEGENSTELLT UND SO DEN KAMPF DER GEFANGENEN UNTERSTÜTZT,BEVOR IHR SELBST GEFANGEN SEID!"

RAF HUNGERSTREIKERKLÄRUNG 1973





HAFT-TRÄUME

"ICH BIN KEIN MÖRDER"

BRÜLLT DER RICHTER

"ICH HABE DAVON

NICHTS GEWUßT"

PFLICHTET IHM

SEIN ZELLEGENOSSE BEI

"IST DOCH NUR

DAS EINE JAHR

PROBE-NACH-SITZEN"

BETONT DER JUSTIZSENATOR

AUS DER ZELLE GEGENÜBER



DAS SCHRILLE SCHLÜSSELGERÄUSCH

LIEß MICH HOCHFAHREN:

"SCHUTZBEHAUPTUNGEN

ALLES SCHUTZBEHAUPTUNGEN"

MURMELTE ICH

MIT VERZERRTEM GESICHT



"KNAST HEIßT NICHT TOT SEIN, SONDERN LEBEN AUF EINER ANDEREN EBENE" ZELLENINSCHRIFT





ISOLIERT ABER

NIE EINSAM!

"Frühstück fassen" dringt der Ruf durch die Verließmauern. Mit Teller und Schüssel richte ich meine Augen auf diese Konstruktion aus Spion und Schlüsseleinbahnstraße. "1, 2, 3, 4 Dellen, wenigstens eine mehr als gestern!". Der Schlüssel sticht. Jedesmal zucke und doch hoffe ich, daß sie endlich kommen, mit einer weißen Fahne in der Hand. Nein, das wird kein Mensch draußen verstehen könen, vielleicht werden einige mit dem Kopf nicken "ja, der DDR-Knast", aber wenn ich ihnen ihren Irrtum nehme, werden sie sich empört abwenden:"so etwas gibt es bei uns nicht!". "So etwas gibt es bei uns nicht ", ranzt der Schließer, "mit Schlappen kriegen sie nichts - Hausverfügung!" Ich schlüpfe in die klobigen Anstaltsschuhe- "Na los, schlafen sie nicht ein!"- und trete mit eingezogenem Kopf einen Meter vor meine Zellentür. "Der wievielte is`n heute?". "Montag" füllt der eine Gefangene eine Kelle Muckefuckkaffee in meine Schüssel. "Der wievielte?" "Weiß nicht!", klatscht der andere Gefangene vier Scheiben Brot auf meinen Teller. "Deine Impe kannst du behalten". Ich schiebe ihm den Margarinewürfel zurück auf den Essenswagen, "ich bekomme Butter - Arztverfügung". Mein Grinsen huscht zum Schließer, stattdessen baffe ich den Gefangenen an: "kannst mir ruhig noch ein Töpfchen Marmelade dazupacken". "Nix da, ein Teil reicht, wir sind knapp". "Der Neunte, Montag der Neunte", schreit der Schließer, bevor er die Tür ins Schloß knallt und abschließt.

Für den Neunten haben sie mir doch vor zwei Wochen ein halbe Stunde Besuch genehmigt. Ich wühle nervös in dem Stapel von Anträgen, Verfügungen und Urteilen.

Sechs Stunden Fahrt, sie sind um zwei Uhr in Osnabrück losgefahren, nein sie wollten hier übernachten. Ob sie jetzt auch keinen Bissen herunter bekommen? Sie werden den Zettel druchgehen, den sie über den Monat angelegt haben, werden sich vergewissern, daß sie nichts vergessen haben.

An Wut und Trauer habe ich mich gewöhnen können, nur die Freude nicht teilen zu können und dieses Warten...

Im oberen Schubfach meines Schrankes liegen, als eiserne Reserve, die ungelesenen Briefe. Ich entscheide mich für einen Brief von meinem Vater, der mir das erste Mal in den Knast schreibt. Ich habe meiner Mutter und meiner Schwester Gabi noch nie gesagt, wie wichtig diese emotionale Sicherheit für mich ist, daß sie mir wöchentlich schreiben.



Mein lieber Axel!

Soeben habe ich nochmals Deine Aufzeichnungen gelesen. Ich finde es toll, daß du viel Unfreiheit und Schmerzen auf dich nimmst. Wir haben früher miteinander lange Gespräche geführt, und du weißt, daß mich Dein Weg oft sehr traurig machte, aber ich kann Dir heute sagen, daß ich Dich trotzalledem schätze. Aus den Tränen wird einmal auch bei mir ein Widerstand werden. Natürlich gehe ich hier auch später einen anderen Weg. Ich bin glücklich, daß Du Aufständischer bist und kein Terrorist. Denn ich bin meinem Schicksal dankbar, daß ich im Krieg vom Töten direkt verschont geblieben bin.

Post war in Rußland auch für mich sehr wichtig, darum kann ich gut verstehen, daß ein Brief für Dich eine große Freude ist. Ich habe Deinen Brief, den Du mir nach Mainz geschickt hast -als ich dort mit der Bandscheibe im Krankenhaus lag- heute noch. Am kommenden Sonntag fliege ich nach Gran Canaria. Ich komme mir aber vor, als wenn ich Dich alleine lasse, weil ich dort Tennis spiele und ein gutes Leben habe.

Mutti hat viel für Dich geschrieben. Gehe bitte keine großen Gefahren ein. Ein Rückzug kann den Vormarsch oft beschleunigen. Halte Dich an dem Ufer fest und schwimme erst weiter, wennn der Strom nachläßt!

Alles fromme Wünsche von Deinem Vater, der auch nicht mehr so weich sein will!

viele herzliche Grüße

und Freiheit+Recht

Dein Vater

Ich habe es dem Knast, dieser totalen Verwaltung von Beziehungen zu verdanken, daß meine Eltern und meine Schwester zu meinen besten Freunden wurde, arbeitet es in meinem Kopf und ich erinnere mich an meinen Alptraum - wenn sie jetzt tödlich erkranken und die Anstalt läßt mich nicht raus, sie ein letztes mal zu sehen.

Es klopft zweimal an der Zellenwand. Ich öffne das Fenster, direkt unter der Decke, ziehe mich am Gitter hoch. "Eh, Alter" höre ich schwach aber deutlich den Zellenachbarn "mach den Lautsprecher an, unsere Hymne". Oft habe ich den Anstaltslautsprecher verflucht, vor allem diese ständigen Durchsagen der Abstaltsleitung und die Unterhaltungsmusik erinnert an ein draußen, reißt neue Wunden in die schon scheinbar geheilten Narben. Ich drücke den Knopf des in die Wand eingelassenen Quadrates, ärgere mich darüber, daß nur die Anstalt laut und leise stellen kann und lausche der Stimme von Juliane Werding:"sechs Uhr früh, jetzt sperren sie die Zelle auf, es folgt der vorgeschriebene Tageslauf..."

Ja, sie haben mir das Leben genommen, das selbstbestimmte, haben den Anstaltsrhytmus zu meiner zweiten Haut erklärt und ich habe diese Herausforderung angenommen und hier etwas gefunden, nach dem ich draußen vergeblich suchte:neben mir liegt Alfred der Zuhälter, auf der anderen Seite Mathias der Kinderficker, daneben Arno der Drogenhändler. Das Gefangenensein betrifft, formt uns zu einer Familie. Erst die Gefängnispforte leitet die Scheidung ein. Ich erinnere mich daran, daß mein Freund Benny mir noch vor kurzem vorwarf:"du willst ja in den Knast!". So ein Quatsch, wie kann ich das Aufgeben der Selbstbestimmung wollen! Nur die Menschen draußen sind mir fremd in ihrer Zielsetzung, ich gehöre hier hin, hier bin ich zufrieden, nicht glücklich, aber wer ist schon zu Hause glücklich!

Ich höre, wie Porzelan zerspringt. Jedes Geräusch klingt hohl, wie neben mir und doch am Ende des Ganges oder vielleicht umgekehrt? Bei dem schrillen Pfiff läuft es mir kalt den Rücken runter. Sämtliche Türen im Haus werden zugeschlagen, abgeschlossen. Ich harre, wie gelähmt, diesem unerträglichen Trampeln der Herde, das immer näher kommt. Die ersten Schließer haben die Alarmursache erreicht. Ich erkenne die Stimme, die jetzt so fürchterlich um Hilfe schreit:es ist Hassan, seit zwei Jahren totalisoliert. "Ihr feigen Schweine" bummere ich an meine Zellentür - immer mehr Gefangene stimmen in das Trommeln ein. Die Schreie entfernen sich, verstummen, weichen der Ohnmacht, daß die Prügelorgien erst im Keller beginnen. Wie ein Tiger laufe ich hin und her: "ich will mich nicht daran gewöhnen" schlage ich trotzig mit dem Kopf gegen die panzerschrankähnliche Tür.

Es klopft erneut."Axel, haste mal `nen Päckchen Tabak, der Gefangene, der das Essen austeilt, bringt es Hassan in den Bunker?". "Hab`auch nichts mehr, bekomme aber nachher Besuch"."Au gut, kannst du den Brief mit rausnehmen, an meine Kleine, möchte nicht, daß die Schergen bei der Postzensur rote Ohren bekommen?". Ich stelle mich auf den Stuhl vor dem geöffneten Fenster und erwarte das Pendel - ein Bettlaken, zerschnitten, zusammengeknotet, am Ende beschwert mit einem Stein- dessen Ende ich mithilfe meines Handfegers in die Zelle hole. Ich knote den Brief ab, "kannst zurückziehen, Alfred! Gestern bei der Filzung haben sie es nicht entdeckt?". "Ich hab`da so meine Geheimnisse!", sagt Alfred mit ein wenig Stolz in der Stimme, "aber letztes Jahr bin ich dafür in den Bunker abgegangen".

Der Brief von Alfred findet in der Unterhose Platz. Jetzt müssen sie die Pforte passiert haben. Ich weiß, daß sie kommen, sie kommen immer pünktlich. Trotzdem wird sich meine Angst erst legen, wenn ich sie sehe, wenn ich sie spüre. Wie ein aufgezogenes Uhrwerk laufe ich hin und her. Ein nasses Handtuch auf meiner Stirn schafft Erleichterung gegen die Kopfschmerzen. Ich will pinkeln, nehme den Deckel vom Klo ab - ich kann nicht. Da höre ich den Schließer kommen, so schnell kann ich die Hose nicht hochziehen. "Ach, du machst heute Besuch?", völlig überrascht steht Werner vor mir, der Anarchist unter den Schließern. "Ja, mein erster Tag, nach vier Wochen krank, auf Mallorca. Aber ab morgen bin ich wieder krank, die haben mich zum Nachtdienst eingeteilt!". Werner hat die Tür einen Spalt offen gelassen. "Ach du bist es" taucht plötzlich ein anderer Schließer auf. "Ja", sagt Werner, "ich führe Resozialisierungsgespräche". Irritiert zieht der Schließer ab. "Neulich schlossen sie mich doch ein, die lieben Kollegen, eine ganze Stunde - war ich erst einmal sechs Wochen krank, wegen Verschlußtrauma. Beim Psychiater kam ich auf die Idee, daß es Zeit ist pensioniert zu werden". "Wie alt bist du denn?". "33, aber seitdem macht mir der Dienst richtig Spaß. Auf`m Turm schoß ich einfach in den Boden, das gab einen Tumult. Auf der Station eingeteilt suchte ich nach meiner Pistole - alle suchten mit. Als ich den Vorgesetzten damit beruhigte, daß ich die Munition bei einem anderen Gefangenen gelagert hätte, von wegen Sicherheit und Ordnung, war ich vom Stationsdienst befreit. Und ich schreibe eine Meldung nach der anderen, mich kostet sie zehn Minuten, der Anstalt eine Stunde". "Nun laß uns aber gehen" dränge ich.

Oben auf der Galere ruft ein Gefangener im Anstaltsdrillich: "bin jetzt Bücherkalfaktor, wenn du was brauchst, sag bescheid"."Mensch Mathe, haben dich ja letzte Woche ziemlich übel zugerichtet"."Ach, das war noch gar nichts. Die Musik fing erst im Keller an. Hab`s ja vorher gewußt, aber ich brauchte einen Tapetenwechsel!". Trotz oder gerade wegen seiner 36 Jahre, die er abzusitzen hat, gibt er mir manchmal neuen Mut.

"Unerlaubte Kontaktaufnahme ist verboten" schreit ein Schließer. "Ach du, Werner", ruft er fast entschuldigend hinterher. "Na Ede, warst du beim Knastfriseur?" Ede greift sich unwillkürlich auf seine Glatze und gibt zurück:"was ist mit deiner Pensionierung?"."Ich will erst befördert werden!".

Vorbei an der Zentrale schließt Werner durch mehrere Türen zum Sprechzentrum. "Laß uns `ne Wettte machen, wer zuerst entlassen wird, muß ein Frühstück ausgeben!"."Gut, aber nicht absichtlich gewinnen", sperrt er mich in eine dieser 1qm großen Isolierzellen und fügt hinzu: "es dauert `ne Weile. Du weißt ja, heute ist Montag, der Mikadotag der Beamten:`wer sich zuerst bewegt, hat verloren!`".

Durch ein kleines Fenster, total vergittert, sehe ich in den Freistundenhof:fünf bis sechs meter hohe Mauern zäunen den Knast im Knast ein, den Hochsicherheitstrakt.

Manchmal wache ich schweißgebadet auf, denn dieser Sechseinhalb-Millionen-Trakt ist das Damokles-Schwert, das über jedem Gefangenen schwebt, der sich nicht dem Willen der Anstalt beugt. Die Anstalt versucht es zuerst mit Bunker, später mit Trakt, der gesetzlich sanktionierten Langzeitbunkerstrafe. Panzerglas, Trennscheibe und Videoüberwachung macht das Gefangenensein nach außen hygienisch sauber, nach innen klinisch tot, weil die Haftbedingungen nicht mehr unterlaufen werden können.



8

Der Turm des Traktes, wie eine Glasveranda auf sieben Meter Höhe, besitzt unzählige Schießscharten, die Abteilung Sicherheit scheint an alles gedacht zu haben, selbst die Fenstergriffe haben sie eingespart. Ein Verdrecken der Scheiben war nicht vorgesehen. Mit einem Spezialgerät - ein kleiner Schwamm, jedesmal erneut zu einem sieben Meter langen Stil zusammengesteckt- versuchen fünf Schließer den Turm zu reinigen:"laß mich mal" und "du sollst die Scheibe putzen nicht streicheln", meckern sie. Ausgerechnet jetzt führen sie mich in den 30-40qum großen Besucherraum. Meine Augen genießen die räumliche Weite - der Druck im Kopf läßt nach - suchen die 9 Besuchertische ab und bleiben an den zwei Automaten hängen, wo ich nach dieser halben Sprechstunde für 18 DM Kaffee, Tabak oder Süßigkeiten ziehen werde, vorausgesetzt der Besuch hat an Ein- oder Zweimarkstücke gedacht. Ich steuere auf den klobigen Schreibtisch zu, mit dem gewichtigen Schließer, der zwischen den Türen die Beziehungen verwaltet. "Tisch vier", sagt er teilnahmslos. Ich packe den Inhalt meiner Hosentaschen in das Schließfach Nr. 4 und höre hinter mir den schweren Atem des Schließers. "Wenn er zu nahe an meinen Sack kommt, muß ich aufschreien, vielleicht macht er dann vor soviel Besuchern nicht weiter?!", nehme ich mir vor, hebe die Arme und spreize die Beine. Doch der Schließer klopft nur oberflächlich ab, entläßt mich an den Tisch. Da unterhält die Anstalt ein Sicherheitsbüro -ihre Hauptarbeit ist die Postzensur- , denke ich ein bischen stolz. Die Umarmung zur Begrüßung drückt Verständnis aus, anders als draußen, wo sie manchmal zur Farce verkommen ist. Nun sitzen sie vor mir - seit einem Monat erwartet. Aufgedreht, sprachlos - da war doch soviel, was ich..., aber jetzt zu reden scheint mir fehl, am liebsten würde ich zurück in meine Sicherheit. Meine Gedanken an Sysiphos und den nächsten Kälteschock lassen meinen Eisklumpen nur schwer schmelzen. Mutti fängt sich als Erste. Der Brief ist in ihrer Handtasche verschwunden, lautlos geschickt. Ich kann mich auf Mutti immer verlassen. Das war schon in der Untersuchungshaft so:obwohl noch nie im Knast, begriff sie sehr schnell, daß der Schließer, der unser Gespräch mitschrieb, nur auf das große Buch blickte. So gab sie durch Mimik und Gestik den Worten oft eine ganz andere Bedeutung. Und doch weiß ich, daß sie nachher bei Freunden zusammenbrach. Ja, sie haben schon viel mitgemacht, die vielen Diskussionen, wo sie mit Engelszungen auf mich einredeten, daß ich im Ausland um Asyl bitte, mein Eigensinn hier meine Arbeit zu verteidigen und trotzdem haben sie meine Entscheidungen immer toleriert, nicht richtig gefunden, aber toleriert.

Langsam kann ich den Film anhalten, ihn mitgestalten. Etwas, was ich vorher nicht vermißt habe empfinde ich jetzt als schön:reden zu können. Für Momente vergesse ich, wo ich bin.

"Die hat ihnen der Besuch übergeben", schreit ein Schließer aufgeregt,reißt mir die Arbanduhr vom Handgelenk, um bei der Hauskammer nachzufragen. Mutti versucht Vati zu beschwichtigen, weiß, daß er als ehemaliger Berufsboxer, aus dem Bauch heraus reagiert, ohne die Folgen zu berücksichtigen. Erst neulich, bei einer Demo gegen Faschisten, konnte er nur mit Mühe davor zurückgehalten werden, sich den Bullen herauszugreifen, der eine Frau verprügelt hatte.



4

"Du hast ja recht", hellt sich Vati`s Gesicht auf. Und während ich noch darüber nachdenke, wie die Welt aussähe, wenn diese Vernunft nicht so sehr regieren würde, legt der Schließer die Uhr auf unseren Tisch:"das nächste mal schließen sie sie in das Schließfach ein, im übrigen ist ihre Sprechzeit zu Ende!". "Es sind doch erst 25 Minuten vorbei"."Hier geht es nach meiner Uhr, sie können sich ja beschweren!".Es hilft nichts. Die abschiedliche Umarmung - das soll für diesen Monat wieder alles gewesen sein? Meine Blicke begleiten sie sehnsüchtig, bis die Eisentür den alten Abstand herstellt. Jeder Besuch bringt mich aus dem Gleichgewicht und ich verstehe die Mitgefangenen, die diese Farce ablehnen. Die Schmerzen sind das Eintrittsgeld, was ich noch bereit bin zu zahlen, um diesen Vollzugsalltag zu durchbrechen. Ich renne los, will in mein Schneckenhaus. Wie auf Kommando stehen zwei Schließer links und rechts neben mir. Erst jetzt begreife ich, daß ich noch die 18 Dm in die Automaten werfen muß -

Geld auf der Zelle wird mit Bunker bestraft.

Den ganzen Nachmittag rede ich immerfort. Mir fällt soviel ein, was ich vergessen habe... Gegen 16 Uhr, nach dem Nachteinschluß, bummert ein Schließer an meine Zellentür:"seitdem du schizophren bist", lacht er "fühlst du dich nicht mehr so allein", und verschwindet. Um 18 Uhr blicken sie, vor dem Licht ausmachen, das letzte mal durch den Spion. Kurze Zeit später klopft Ali von der Zelle unter mir. Ich nehme den Holzdeckel vom Klo ab, sauge mit dem Aufwischlappen das Wasser aus dem Kloknie und höre deutlich Ali`s Stimme:"ich kenne diese Situation. Laß uns `ne Partie Schach spielen, glaube mir, Ablenkung ist das Beste. Morgen geht alles wieder seinen alltäglichen Gang!"



"WIR KÖNNEN DIE SCHWEINE NICHT ZWINGEN DIE WAHRHEIT ZU SAGEN, ABER WIR KÖNNEN SIE ZWINGEN NOCH UNVERSCHÄMTER ZU LÜGEN!"

ULRIKE MEINHOF





EHRENWORT

DER JUSTIZSENATOR KLAGT:

150 DM

KOSTET

TÄGLICH

EIN HAFTPLATZ



SOBALD DAS GELD

EINGETROFFEN IST

RÄUME ICH

MEINE ZELLE



"WARUM GIBT ES EIGENTLICH GESETZE,WENN DIE REPRÄSENTANTEN DIESER GESETZE SIE MIßACHTEN?" ZELLENINSCHRIFT





ALARM

(die schließer nennen es untereinander:"sicherheitsjoggen")

EIN VERTRAUTER PFIFF

ALLE SCHLIEßER RENNEN

IN DEINE ZELLE

DEINE SCHREIE

-DAZWISCHEN:

"DEN KOPF RUNTERDRÜCKEN

RUNTERDRÜCKEN!"

SIE ZIEHEN DEINEN ARM

ÜBER DEINEN RÜCKEN-

VERSTUMMEN

IM KELLER

PRÜGELORGIEN

OHNE PUBLIKUM

"DU KANNST DICH JA BESCHWEREN"

LACHEN SIE

NUR EINER

SCHREIBT DIE MELDUNG

UND SCHÄMT SICH:

SEINER RECHTSCHREIBKENNTNISSE



"früher war ich ohnmächtig wütend, weil ich nicht meine heimat im osten besuchen konnte - heute stehe ich nur 100 m von meinem sohn, und ich darf ihn nicht sehen!"mein vater, als meine eltern und meine schwester zu einem besuch aus osnabrück angereist waren und selbst zweistündige hartnäckige diskussionen die knastverwaltung nicht erweichen ließen.





GEFANGENEN-

WUNSCH-KÜCHE

SCHWEINSGESICHT

GEKOCHT

SERVIERT

AUF EINEM SILBERTABLETT

ZITRONE

ZWISCHEN DEN AUGEN

VERDECKT

DIE EINSCHUßLÖCHER



"DAS IST MEINE ZEIT,DIE WILL ICH NICHT ABSITZEN,DIE WILL ICH LEBEN.DENN ALLES,WAS MAN SELBER ERKÄMPFT,GEGEN DEN TROTT,DAS IST WAS WERT!" MARGIT CZENKI





ÜBERLEBENS-TRÄUME

ICH SAH

DEN ANSTALTSLEITER

LAUFEN

IMMER IM KREIS

SEIN SCHWARZES GEWAND

DURCHTRÄNKT

VON KALTEM SCHWEIß

AUS SEINER WEIßEN WESTE

WAR GEWORDEN

EINE WEIßE FAHNE





"ODER BILDET HEUTE SCHON JEDER DENKENDE MENSCH MIT EINEM ANDEREN DENKENDEN MENSCHEN EINE TERRORISTISCHE VEREINIGUNG?" KOMMENTAR MEINER SCHWESTER ZUR VERHAFTUNG VON GUDRUN ENSLIN IN ITALIEN





MÄNNER

"ZELLE 39

HAT SEINER FRAU

2 MAL

IN DEN KOPF GESCHOSSEN"

ERKLÄRTE DER WÄRTER

DEM AUSZUBILDENDEN

"EINMAL HÄTTE DOCH AUCH GEREICHT"



"...IMMER IM KREIS,IM GANZ KLEINEN KREIS,ZWISCHEN GRAUEN MAUERN,DIE AUCH KEIN HERZ FÜR UNS HABEN,DENN SONST WÜRDEN SIE EINES NACHTS HEIMLICH FORTWANDERN UND SICH UM DEN PALAST STELLEN,IN DEM UNSERE MINISTER WOHNEN." WOLFGANG BORCHERT





MEIN EIGENER RHYTHMUS

MONTAWS WIE FRMITAGS:

VoLLZUGS-ALLTAG

EINEN TAG BESTIMME

ICH

LANGE VORXER:

AUFGEStARTE BRKEFE

DER BESUCH BEIM ARZT

PFARRER

GÖNNT eRHOLUNG

VON DER"KURZSICHTIGKEIT

DER`ZELLE

DIE VORFREUDE

MEINE SICHERHEIT

WIEVIEL MONATE ICH NOCH

SITZEN`MUß?

ICH WEIß

WIEVIEL TQGE ICH

GEFEIERT HABE



"WIR KÄMPFEN NICHT GEGEN DIE FEHLER DES SYSTEMS,SONDERN GeGEN SEINE VOLLKOMMENHEIT" ZELLENINSCHRIFT





MORD

FÜNF JAHRE NOCH

ÉSOLIERT UND AIDS

DEIN BLUTLETZTE NACHT

BRACH

DIE EINTÖNIGKEIT

"DMR HÄTTE DOCH

WARTEN KÖNNEN"

KLAGTE DER BEAMTE

"DIE STUNDE

BIS ZUM SCHICHTWECHSEL!"

29



"GLAUBE NIE WIEDER AUS BEQUEMLICHKEIT" INA DETER







BEAMTEN-MENTHALITÄT

"NUR ZWEI MINUTEN

MEINE FRAU

SIE VERSTEHEN!"

"WARUM

BITTET ER

MICH

UM VERSTÄNDNIS"

DENKT DER GEFANGENE

"NICHT SEINEN VORGESETZTEN?"





vor 17 jahren traf ich eine grundsatzentscheidung: andere menschen bekamen kinder, ich steckte meine energien in den knastbereich.und seit dieser zeit leide ich unter dem konflikt der beiden gruppen:während die illegalen die legalen abtun mit dem satz:"die sozialarbeiter" ,lassen die legal arbeitenden gruppen gegenüber den herrschenden keine gelegenheit aus, sich von den illegalen zu distanzieren. beides tut mir weh,weil wir doch ein gemeinsames ziel haben und wir verdammt noch einmal endlich einsehen müßten, daß es mehrere wege nach rom gibt.

in den zwanziger jahren gab es einen interessanten ansatz: die ringvereine, die sog. ganovenvereine. hier wurden nicht nur gemeinsame aktionen geplant, sondern die leute auch anschließend im knast versorgt.das war die basis für die ganovenehre: verpfeifen von tatgenossen gab es nicht und es wurden auch keine krummen dinger gedreht!

als ich anfing ,hatte ich noch die hoffnung an solch einer organisation mitzubauen: ein pool in den die leute, die gerade die wirklich reichen (also die,die schon gar nicht mehr so genau wissen wieviel geld sie überhaupt haben!) abgezockt haben, 10 prozent ihrer beute einzahlen, damit die menschen im knast versorgt werden. heute träume ich nur noch...





legal,illegal,scheißegal

gebeugt über der schreibmaschine sucht ein kleiner hagerer mann die einzelnen buchstaben. das klingeln läßt seinen körper aufschrecken "hier das komitee für eine ausreichende materielle versorgung der gefangenen, alfred am apparat"."du bist hier richtig," sagt alfred. seine stimme enthält einen schuß genervtheit überspielt mit routine. "nur weigern wir uns die gefangenen in zwei klassen einzuteilen. es gibt in der brd 60000 gefangene menschen, wer keine angehörigen hat dem vermitteln wir ein paket - sympathie oder antipathie spielen keine rolle. wir wollen nicht, daß diejenigen, deren seele vergewaltigt wurde sich wieder hinten anstellen müssen." "dann unterstützt ihr auch vergewaltiger?"."wir kümmern uns um menschen, die ihrer möglichkeiten beraubt werden!" alfred hört ein kurzes räuspern, dann ein langes schweigen". "was soll ich denn in das paket reinpacken?"."möglichst viel tabak oder kaffee, denn jeder gefangene darf nur dreimal im jahr ein paket erhalten. und tabak oder kaffee ist so eine währung"."o.k.kannst dich darauf verlassen, schicke mir mal so einen paketschein", hat sich der mann am anderen ende von seinem schock erholt.

während alfred das couvert ausfüllt steht ein kräftiger mann in der tür. seine boxernase und der pokermäßige gesichtsausdruck schüren in alfred die vermutung:der mann hat schon einige sonntage hinter sich (ein sonntag ist der knastausdruck für ein jahr,nämlich von einem totensonntag zum nächsten)."hab` ne Spende" sagt der etwa vierzig jahre alte mann "ne lkw-ladung tabak. muß aber schnell abgeladen werden."

"gut wir brauchen `ne stunde. hier unten im hof ist `ne eßkneipe,sagst dem wirt du kommt vom komitee."o.k. hab` `nen bärenhunger, komme aus bremen".

eine viertel stunde nachdem alfred die telefonkette ausgelöst hat, bevölkern 20 menschen den hof. "zehn leute laden aus und zehn packen die pakete, fünf stangen tabak in ein paket, aber ja nicht mehr, wenn das paket 5 kilogramm übeschreitet senden sie es zurück und so einen formalen vorwand wollen wir ihnen doch nicht liefern", gibt alfred das kommando, "peter soll den bulli startklar machen, dann kann er schon die erste ladung zur post fahren und beeilt euch bitte."

"ach, was ich noch sagen wollte", verabschiedet sich der lkw-fahrer, dem sie ansehen, daß er ansonsten wenig worte macht "war letztes jahr bei der paketaktion im loch-det kam jut". "nun fahr schon" rufen die zurückgebliebenen ihm nach, ohne von ihrem emsigen packen aufzublicken.

zwei monate später -das komitee hat sich längst aufgelöst, flattert auf den schreibtisch der postadresse ein blauer brief, absender:das kammergericht:

"... es wird verfügt, daß die von der vollzugsanstalt beschlagnahmten pakete sofort den einzelnen gefangenen auszuhändigen sind. gründe:zwar geht das gericht auch davon aus, daß der inhalt der pakete identisch sein könnte mit der gestohlenen tabakware aus dem bei bremen entwendeten lkw, doch sind andererseits die aussagen der absender dieser pakete - die unter eid bezeugen, daß sie die tabakwaren selbst eingekauft und dann verpackt hätten - nicht zu widerlegen. wenn die einzelnen päckchen tabak vom hersteller ähnlich numeriert würden, wie z.b. geldscheine in banken, wäre ein nachweis möglich gewesen.

gez. meyer richter beim kammergericht

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"JE MEHR SIE EINKNASTEN DESTO SCHWIERIGER WIRD ES DIE BEDINGUNGEN ZU VERHEIMLICHEN" ZELLENINSCHRIFT





ENDLICH:

IM NEUEN JAHRTAUSEND...

SOLL DIE RICHTERAUSBILDUNG

UM DEN PRAXISTEIL

EINER LÄNGEREN HAFTSTRAFE

ERWEITERT WERDEN

SEITDEM

GILT DAS RICHTERAMT

ALS ANERKANNTER BERUF



"WENN IHR BEISAMMEN BLEIBT,WERDEN SIE EUCH NIEDERSCHLACHTEN - WIR RATEN EUCH,BEISAMMEN ZU BLEIBEN.WENN IHR KÄMPFT,WERDEN IHRE TANKS EUCH ZERMALMEN-WIR RATEN EUCH ZU KÄMPFEN.

DIESE SCHLACHT WIRD VERLOREN GEHEN UND VIELLEICHT AUCH DIE NÄCHSTE NOCH WIRD VERLOREN GEHEN.ABER IHR LERNT DAS KÄMPFEN UND ERFAHRT,DAß ES NUR DURCH GEWALT GEHT UND WENN IHR ES SELBER MACHT." BERT BRECHT





HOTEL-VOLLZUG

5,30 UHR

GRELLES LICHT

DURCH GESCHLOSSENE AUGEN

LAUTES BUMMERN

ICH BEWEGE MICH

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BROT FASSEN

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IHRE LETZTE PEEP-SHOW

DAS NACHKLICKERN DES SPIONS

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WARUM WERDEN DIE SCHLIEßER

NICHT SCHALTER GENANNT?

IN DER DUNKELHEIT

DREI SCHEIBEN BROT

STILLEN NICHT

"DIE GESELLSCHAFT GAB

DEM VERURTEILTEN

18 MONATE DIE CHANCE

SICH AUF DAS LEBEN

DRAUßEN

VORZUBEREITEN"

BEI GELEGENHEIT

BEDANKE ICH MICH



alle Texte aus:Ralf-Axel Simon "Eigentlich ist der Knast mein Leben",Edition schwarz-rote Seele im Scheunenverlag Kückenshagen,1996, ISBN 3-929370-48-4


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