TAZ 7.12.87


aus der taz am 7.12.87 Die Frage nach der Wahrheit von Holger Schacht

Ralf-Axel Simon, `Knastblatt`- Heruasgeber mit Berufsverbot, kämpft für Lasker-Steglitz in der Schach-Bundesliga - in einer Welt, die nur schwarz oder weiß kennt/Schach als Hilfe gegen Isolationshaft


Über ihn wurde schon viel geschrieben, geredet und gerichtet.`Knastblatt-Axel`war und ist seinSpitzname, `ein rast- und bedingungsloser Einzelkämpfer`hat man ihn genannt oder auch `ein sensibler Mensch mit einem ungeheuren Gerechtigkeitsempfinden`. Zweimal wurde er mit Berufsverbot bedacht:Mitte der siebziger Jahre, als der Religionslehrer Ralf-Axel Simon mit seinen Schülern über die Entführung von Peter Lorenz diskutierte und zu dem Schluß kam, die `Bewegung `2. Juni` hätte aus selbstlosen Motiven gehandelt. 1983 wurde ihm verboten, den Beruf des Verlegers, Redakteurs oder Journalisten auszuüben. Zwei Jahre lang. Das von ihm herausgegebene `Knastblatt` traf ganz und gar nicht den Geschmack der Obrigkeit. Von `grauen Ratten mit Schließermacht` war da die Rede, von `Bullen und Justizschweinen`. Wegen seiner Veröffentlichungen und weiterem Ungehorsam mußte Ralf-Axel Simon selbst hinter Gitter, zu den Menschen, denen er von draußen hatte helfen wollen und es über Jahre auch getan hattte. Anderthalb Jahre Knast, davon monatelang in Isolationshaft, eine ganze Menge für Wörter und Gesten. Noch heute ist er nur auf Bewährung in Freiheit. Zur Zeit arbeitet er bei der taz, ist zuständig für die Gefangenen-Betreuung. Über 150.000 Mark sammelte er in diesem Jahr an Spenden für rund 1.300 Frei-Abos. Doch damit soll zum Jahresende Schluß sein. Axel möchte sich ganz seinem Buch, einem Roman mit autobiographischen Zügen, und einem Spiel widmen: Schach. "Als ich in Isolationshaft saß, war das Beschäftigen mit der Schach-Fachliteratur ungeheuer wichtig für mich", erzählt Ralf-Axel Simon, und fügt hinzu:"Um meinen Geist und Verstand rege zu halten, analysierte ich hunderte Partiestellungen blind, also ohne Ansicht des Brettes". Diese Gabe - zu dem nicht nur langes Training, sondern auch Phantasie erforderlich ist - unterscheidet die Experten von den Anfängern, den Kaffehausspielern, trennt die Spreu vom Weizen. Axel ist ein Könner. Bei der letzten Berliner Meisterschaft wurde er Vierter und er gehört zum Kader des Erst-Bundesligateams von Lasker Steglitz Berlin. Vielleicht ist Schach seine Flucht aus den gesellschaftlichen Verhältnissen. Hier ordnet er sich unter, erkennt Ungerechtigkeiten an und hat nicht unendliches Verständnis, sondern sieht schwarz und weiß. Dabei kämpft er nicht so sehr mit seinem Gegner, sondern gegen Schach-Stellungen und mit sich selbst. Schon oft konnte man ihn dabei beobachten, wie er fast schon gewonnene Partien am Ende doch noch verdarb - aus Gründen der Zeitnot. Denn jedem Spieler stehen bei Turnier-Partien nur 2, 5 Stunden für 50 Züge zur Verfügung. Für Axel ist das meist zuwenig. Die letzten Züge vor der Zeitkontrolle muß er häufig in Sekundenschnelle ausführen. Beim Schach stellt er nicht die Frage, ob Sieg oder Niederlage gerecht oder ungerecht waren. Er stellt, wie im Leben, die Frage nach der Wahrheit. Axel ist Wissenschaftler und kein Pragmatiker. Und die Suche nach den besten Zügen kostet eben Zeit. "Ich will noch mal versuchen, Internationaler Meister zu werden, umreißt er sein neues Ziel. Ein ziemlich schwieriges Unterfangen. Denn dieser Titel, verliehen von der Welt-Schachorganisation FIDE, erfordert mehrmals äußerst starke Leistungen auf internationalem Niveau. Als erste Station hat er sich Zürich ausgesucht. "Günstige Unterkunft, und in der Schweiz zu trampen dürfte lauch kein Problem sein". Ralf-Axel Simon demnächst also Schach-Profi auf Rädern? "Nein, nein", wehrt er ab, "das muß erst noch abgewartet werden."Von Turnier zu Turnier zu reisen und mit Preisgeldern sein Leben zu finanzieren, das könne er sich nicht vorstellen. Eher käme da schon in Frage, Schach-Bücher zu schreiben und Training zu geben. Das klingt bei ihm so, als sei er die Konfrontationen, den Kampf um den Sieg, ein bißchen leid. Und als ich im Laufe eines Gesprächs mit ihm Weltmeister Kasparows Satz "Das Blut, auf das die Fans warten, wird fließen" zur aktuellen Schach-WM zitiere, da tippt sich Axel unmißverständlich an die Stirn. Holger Schacht.


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