Buch :"Unter Männern"

Burghard Schröder in seinem Buch "Unter Männern- Brüder, Kumpel, Kameraden" Rowohlt Taschenbuch Nr. 1280: SCHACH DEM STAATSANWALT!

Relativ selten sagt ein Spieler der Schach-Bundesliga die Züge seiner Partie durch das Abflußrohr eines Klosettbeckens an. Wenn er aber Gefangener in der Strafanstalt Berlin-Moabit ist, dem berüchtigsten und nach Meinung vieler Häftlinge härtesten Knast Deutschlands, muß er manchmal ungewöhnliche Wege gehen, um durchzusetzen, was er will. Würde das Toiletten-Fernschach entdeckt, setzte es Prügel, und das nicht zu knapp. Auf den so zur Einhaltung der Anstaltsordnung 'überredeten' Knacki wartet anschließend der 'Bunker', die Arrestzelle. Der Gefangene Ralf-Axel Simon muß daher warten, bis der Schließer, wie alle seine Kameraden auch 'Harro'genannt, um 18 Uhr durch den Spion der Zellentür geblickt hat, um sich zu vergewissern, daß der Strafvollzug seinen geordneten Gang geht. Dann ist, so die Erfahrung, bis 21 Uhr keine Kontrolle mehr zu befürchten. Zwei minuten nach sechs Uhr, der Schließer hat die Zellentür soeben passiert, greift sich Ralf-Axel den Aufwischlappen, verkneift sich allzu heftiges Durchatmen und tunkt ihn in den 'Bello'. Das ist der Kosename für das schmutzigbraune Klosett. Nachdem er den Lappen ausgewrungen hat, wiederholt er den Vorgang so lange, bis das Wasser aus dem Abflußrohr gesaugt ist. Dann das vereinbarte Klopfzeichen: drei Schläge gegen die Kloschüssel. Das Haustelefon funktioniert tadellos. Die Stimme des Gefangenen aus der Zelle über ihm, seinem Spielpartner, tönt deutlich durch die 'Rohrleitung':"Grüß dich, Ralf-Axel!", hallt es von oben, "Bauer e2 nach e4!" Nach diesen Vorbereitungen ist ein geordneter Spielverlauf aber noch nicht garantiert. Ralf-Axel gilt in den Augen der Justiz als ein besonders aufrührerischer und gefährlicher Gefangener. Ein Schachspiel darf er nicht besitzen weil das den Frieden des Vollzuges stören, sogar für einen Ausbruchsversuch mißbraucht werden könnte. Der Häftling mußte sich daher zwischen Kommunikation mit seinen Kameraden oder einem ausreichenden Frühstück entscheiden. Mit dem Anstaltsbrot läßt sich nämlich mit etwas handwerklichem Geschick ein leidliches Schachspiel herstellen, da die vier Scheiben, die des Morgens serviert werden, ohnehin die Konsistenz vom Knetgummi haben. Aus der Rinde der leicht formbaren Masse entstehen schwarze, aus dem hellen Teig weiße Figuren. Ein Stück Papier mit aufgemalten Quadraten dient als Brett. Ralf-Axel wäre als Schachprofi durchaus in der Lage, seine Partien blind, das heißt ohne Ansicht der Figuren und des Brettes, zu spielen. Nur ist er nicht der Mann, der sich mit Maßnahmen der Justiz abfindet. Seit mitte der siebziger Jahre kenne ich ihn als den 'Knastblatt-Axel'. Bekleidet mit dem obligatorischen grünen Parka, den dazu im Stil passenden wallenden Haaren und einem Bart, den man heute fast nur noch bei Überzeugungstätern der älteren Generation antrifft, verkaufte er jahraus, jahrein Zeitungen in Szene-Kneipen, in den Mensen und in der Technischen Universität. Alle zwei Wochen produzierte er - manchmal mit Freunden - das 'Knastblatt', ein beidseitig eng bedruckter DIN-A-4 Bogen mit Nachrichten und Informationen aus und über bundesdeutsche und Berliner Gefängnisse. Gegen dieses Knastblatt und den Verleger, Redakteur und Journalisten in Personalunion strengte die Justiz, insbesondere ein besonders ehrgeiziger Staatsanwalt Kalf, der politischen Abteilung zugehörig, über fünfzig Ermittlungsverfahren an, wegen 'Beleidigung sowie anderer Straftaten', darunter häufig der unvermeidliche und mit fast sportlichem Ehrgeiz der Beamten des politischen Staatsschutzes nachgewiesene 'Verstoß gegen das Berliner Pressegesetz". Ralf-Axel Simon, der sich so aufopfernd für Gefangene eingesetzt hatte. daß sogar enge Freunde den Kopf schüttelten, landete selbst im Knast. Zwei Jahre und vier Monate hat er abgesessen, davon drei Monate in Totalisolation, den Rest in verschärften Vollzug. Die für 'normale' Gefangene selbstverständliche Aussetzung der Strafe nach zwei Dritteln der Zeit blieb ihm versagt, denn Ralf-Axel bestand bei der Anhörung darauf, weiterhin Gefangene zu betreuen. bei Herrn Simon, so der zuständige Beamte, sei deshalb keine 'Resozialisierung' zu erwarten. Seit einigen Monaten ist er in Freiheit. Ich treffe ihn unvermutet an einem für uns beide seltsamen Ort, dem noblen Berliner Hotel 'Intercontinental'. Ralf-Axel kämpft wie immer, nur jetzt am Schachbrett in einem mit mehreren Großmeistern besetzten Turnier. Er will die Norm für den 'Internationalen Meister' erreichen. Wie kann man achtzehn Monate isoliert in einer Zelle verbringen und trotzdem seinen Verstand behalten? "Ich habe gelernt, damit umzugehen", meint er lächelnd. Seine Augen faszinieren mich. Da ist etwas, was bei mir Verwirrung auslöst. Dieser Mann lebt das, was er denkt und sagt, er lebt es so total und kompromißlos, daß ich Angst vor ihm bekommen könnte. Ein Freund sagt über ihn:"Axel war für mich der vollkommene Vertreter des kategorischen 'Da-muß-man-doch-was-tun!', und gerade dieser gewisse, offene Blick mobilisiert in mir sofort sämtliche Abwehrsysteme gegen dieses ewige schlechte Gewissen, das besonders gute Menschen bei einem durchschnittlichen Sünder unweigerlich auslösen." Jemand, der durch seine beharrliche politische Arbeit die Staatsgewalt zur wutschnaubenden Raserei provoziert, der zwei Jahre Knast überstanden und sich durch Schach geistig am Leben gehalten hat, verkörpert für mich einen Mythos, wie direkt aus Stefan Zweigs berühmter 'Schachnovelle' entsprungen. "Ein Mensch, der sein ganzes Leben der Politik und der Solidarität unterordnet, hat etwas ebenso Bedrohliches wie Mitleiderweckendes", schreibt ein Journalist über ihn. Diese moralische Standhaftigkeit, dieser feste, protestantische Glaube, die Überzeugung würde erst durch Leiden geheiligt, dieses unerschütterliche Gefühl, gegen alle Anfeindungen richtig zu handeln und dafür auch die schärfste Verfolgung des Staatsapparates in Kauf zu nehmen, erinnern mich an Schachspieler, die sich für einen Angriff am Königsflügel entschieden haben und den Gegner auf der anderen Seite, am Damenflügel, durchbrechen sehen. Es gibt kein Zurück mehr, dann wäre die eigene Spielanlage widerlegt und alles verloren, weil die Figuren schon vorgestürmt sind. Also bleibt nur die Flucht nach vorn! So sanft, wie Ralf-Axel im persönlichen Umgang redet und sich bewegt, so freundlich er auf seine Umgebung wirkt, so spielt er auch Schach. Er liebt einen vorsichtigen, nach positionellen Gesichtspunkten vollzogenen Aufbau. Ich fühle mich fast liebenswürdig von seinen Figuren eingeladen, doch endlich einen Angriff zu versuchen. Bitte sehr, der verehrte Gegner möchte doch die Güte haben, endlich vorzurücken! Natürlich erleide ich ein Fiasko. Seine Stellung ist rundum abgesichert. Um gegen sie anzurennen, muß ich meine Verteidigung entblößen, was mir promt zum Verhängnis wird. Mit dem Staatsanwaltschaft Kalf, der nur wenige Jahre älter ist als er, verstrickt sich Ralf-Axel unentwirrbar. Beide teilen auf allen Ebenen Schläge aus. Ralf-Axel schreibt ihm aus der Schweiz eine Ansichtskarte: "Liebster Staatsanwalt! Ich bin im Urlaub. Umarmung und Gruß! Dein Ralf-Axel." Der Staatsanwalt revanchiert sich. Er läßt Ralf-Axel - ohne dessen Wissen - von seinem Wohnsitz abmelden, wie dieser mir verschmitzt lächelnd erzählt, um so einen Haftbefehl wegen 'Fluchtgefahr'erwirken zu können. In den ersten drei Monaten der Haft durfte Ralf-Axel keinen seiner Mitgefangenen sehen oder sprechen, weil er sich der Schirmbilduntersuchung wegen der hohen Strahlenbelastung widersetzte. Nach einem Vierteljahr gab die Anstaltsleitung nach. "Du bist ständig bemüht, deine Gefühle zu unterdrücken, auch wenn du dich über das finstere Gesicht des 'Schlüsselknechtes' freust weil er das einzige ist, was du wochenlang siehst. Du darfst dein Ausgeliefertsein nicht zeigen, sonst hältst du es nicht aus." Wie hat ihm das Schachspiel über die Isolation hinweggeholfen? Der Verstand müsse sich an etwas klammern, meint er. Schach sei ein in sich geschlossenes, aber vielseitiges System. Allein die Varianten der Königsbauern-Eröffnung ergeben, bis auf zehn Züge berechnet, eine unglaubliche Anzahl von Möglichkeiten. Dabei kommt es noch nicht einmal darauf an, gegen sich selbst zu gewinnen und sich der Gefahr einer Bewußtseinsspaltung wie der literarische Dr. B. der 'Schachnovelle' auszusetzen. Es reicht, um sich zu beschäftigen und geistig rege zu halten, Stellungsmerkmale zu beurteilen und Tendenzen zu beobachten, die ein eventuelles Weiterspielen beeinflussen könnten. Das Schachspiel aus Brot wurde Ralf-Axel bei einer Zellenfilzung vernichtet. Nach einigen Monaten organisierte er sich - er will nicht verraten, wie - ein Taschenschachspiel. "Freunde haben mir ein Schachlehrbuch geschickt. Ich habe Varianten über Varianten gepaukt, vor allem die Sizilianische Verteidigung. Irgendwann will ich Schachprofi werden und damit Geld verdienen. Während der Haftzeit habe ich viel Theorie nachgeholt. Aber Schachspielen ist gefährlich..." Gefährlich? Das von einem Schachmeister? "Du kannst dich im Schach verlieren, ewig im Kreis denken. Die Kontakte zu deinen Mitmenschen verlieren an Bedeutung. Schach hilft dir über die Einsamkeit hinweg, isoliert dich aber gleichzeitig von den anderen. Das ist etwas für Menschen, die Angst haben." Ralf-Axel hat die Einsamkeit der Zelle überstanden. Natürlich macht er wieder Knastarbeit: er betreut bei der alternativen 'Tageszeitung' den 'Verein Freiabonnements für Gefangene e.V.' Sein Motto:Knackis brauchen Infos-spendet Knast-Abos! Und Schach? "Demnächst fahre ich nach Budapest. Beim Berliner Turnier habe ich meine 'Internationale Meister-Norm' nicht erreicht, aber das werde ich in Ungarn bestimmt nachholen!" sagt er beim Abschied. "Uff eene Art is det`n Held, ooch wenn er`n Spinner ist", offenbarte sich einer der Schließer im Knast einem Journalisten, der Ralf-Axel besucht hatte. "Weil der nich uffgibt, bei nüscht." Burghard Schröder


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