Spätherbst 1999 Jugendknast in Wiesbaden

Erlebnisbericht Ein Tag im Jugendknast Wiesbaden

Eine Organisation "für Humanität und Menscherechte" hatte diese Lesung organisiert. Ich hatte ihnen vorher schon meine Texte geschickt und sie waren mit dem Grundtenor einverstanden. Bei einem persönlichen Gespräch hatte ich noch einmal auf meine Bedenken hingewiesen -sie wurden einfach vom Tisch gefegt.
Nun war ich da, die Organisatoren hatten Hotel und Bahnfahrt bezahlt und ich bekam ein Honorar von 500 DM - "ich bin nicht bestechlich" , hatte ich betont, sie hielten es für einen netten Scherz.
Obwohl die Lesung erst nachmittags war , erschien ich schon frühmorgends im Knast, der Anstaltsleiter, ein ehemailger 68ziger, wolte mir seine Anstalt zeigen. Ich war sehr wohl beeindruckt, brachte das auch zum Ausdruck, dieser Anstaltsleiter hatte schon eine Menge erreicht! Nun bin ich auch immer bereit daran mitzuarbeiten, in der Hölle kleine Assbestwände zu ziehen, aber mein Ziel ist ein ganz anderes. Als ich dann beim gemeinsamen Mittagessen hörte, dass nur ausgesuchte Gefangene und geladene Gäste nachmittags zu meiner Lesung kämen, einigten wir uns, dass noch eine zusätzliche Stuhlreihe aufgebaut wurde, "Kein Problem", sagte der Anstaltsleiter großzügig lächelnd. Bei meiner nächsten Bitte merkte ich schon, wie sich sein Gesicht beleidigt verzog:"ich möchte gerne die Bunkerzellen sehen". Auch dieser Bitte wurde entsprochen, ich nahm nur wahr, wie er während der Beschtigung permanent auf mich einredete. Die Bunkerzellen waren zwar hygienisch sauber (also keine Blutspuren mehr vom Vorgänger, wie man es in vielen Anstalten kennt) aber es waren eben Bunkerzellen:ein Zementklotz als Bett, die Klospülung wird von außen bedient, es gibt kein Fenster zum sehen oder öffnen -was die menschlichen Tragödien erahnen ließ.
Dann am Spätnachmittag die eigentliche Lesung. Ich dachte erst ich bin im falschen Film:hätte ich die Klunker der geladenen Gäste eingesammelt, hätte man mit dem Verkauf was vernünftiges anfangen können! Aber schon bald merkte ich, daß von den ausgesuchten Gefangenen da keine Gefahr drohte. Während meiner Texte war es muksmäuschenstill. Nur die Diskussion war gewöhnungsbedürftig: inhaltlich wurde nichts bezweifelt, was ich beschrieben hatte, nur der Ausdruck "Schliesser" wurde lang und breit diskutiert. (Ich fühlte mich sehr an die Zeit meiner Verhaftung erinnert:damals hatte Kuno Haberbusch [als Hausbesetzer und Neuanfänger bei der Fernsehsendung "Panorama"} schon einen Beitrag über mich fertig, und es hätte mir sicherlich mächtig bei meiner Auseinandersetzung mit der Justiz geholfen, nur Stefan Aust, der Pseudolinke Oberpapst bei Panorama, setzte den Beitrag ab mit der Begründung das sei "die Sprache des Unmenschen". Übrigends geschah das gleiche auch mit einem ebenfalls fertigen Beitrag im Stern und im Spiegel. Erst später erfuhr ich, daß alle Beiträge abgesetzt wurden auf Initiative vom Staatsschutz- soviel zur gleichgeschalteten Presse in dieser Bananenrepublik.)
Bei der Manöverkritik beim Abendessen zogen die Organisatoren aus der Veranstaltung ihre Konsequenz:"So etwas machen wir nicht wieder - das nächste Mal lassen wir im Knast nur Goethe und Schiller lesen!". Und ich wußte, ich war nicht nur im falschen Film, ich wollte auch mit diesen Organisatoren nicht mehr zu Abend essen!


(C) 2008 - Alle Rechte vorbehalten

Diese Seite drucken