7.11.1992 Berlin-Neuköln

SFB Hörfunk November 1992 von Peter Feraru

Bemerkungen zu Gefängnisliteratur, anlässlich der "Knastlesung" am Samstag dem 7. November im "Kaffee Graefe" mit Peter Lerch und Ralf-Axel Simon

In den Letzten 20 Jahren trat eine Literaturgattung in das Blickfeld der Öffentlichkeit, die Teils abgewertet, Teils hochstilisiert wurde. Wir reden von der Gefängnisliteratur. manche Autoren verwenden dabei eine Sprache, die wie Stiefeltritt in das Gesicht des Lesers wirken. Erinnert sei an den "Minus-mann" von Svoboda, die Erlebnisse eines Zuhälters, Totschlägers und Mutterschänders.
Leidenstexte schreiben die anderen. Sie bilden den Schwerpunkt der Literatur aus dem Gefängnis.
Während sich die Germanisten von Anbeginn an darüber streiten, ob es eine orginäre Literatur aus dem Gefängnis gibt, sitzen in fast allen Haftanstalten Frauen wie Männer, um ihre Qual und Erlebnisse zu Papier zu bringen.

Die Gemeinsamkeit zwischen Dostojewskij und Karl May, Cervantes und Villion ist die Hafterfahrung. Doch sie, zu Weltruhm gekommene Autoren, verloren sich nicht in der bloßen Schilderung des Gefängnisalltags.
Die "Aufzeichnungen aus einem Totenhaus" von Dostojewskij blieben dessen einzige Berichterstattung aus der Zeit der Haft.
Was hingegen in der Bndesrepublik von Inhaftierten auf den lieterarischen Markt kommt, behindert sich meist selbst durch eine spröde, teilweise auch buchhalterische Auflistung der Haftsituation. Ein Autor wie Hery Jeager blieb die große Ausnahme. Er schrieb uach nach seiner Haftentlassung weiter.
Der raue Haftalltag, die teilweise auch brutalen Erfahrungen mit dem Wachpersonal und Haftkollegen, scheinen sämtliche Phantasien zu ersticken.
O-Ton Ralf-Axel Simon "Früher hatte ich das Gefühl, der Traum ist real. Aber das habe ich mittlerweile mir schon abgeschminkt. Ich glaube kaum noch, daß man großartig etwas verändern kann. Ich hab`für mich selbst nur noch das Gefühl, ich muß mich verhalten"

Die gesamte Literatur aus dem Gefängnis spiegelt diese resigantive Hatung wieder. Obwohl es Autoren wie Peter Lerch, Felix Kamphausen, Kuno Bärenbold oder Karlheinz Barwasser gibt, die alle gute, gestalterische Ansätze zeigen, hat, bis auf eine Ausnahme, keiner den großen literarischen Wurf versucht.
Haftliteratur als Ventil unterdrückter Sehnsüchte, als eine Form von Widerstand gegen den Moloch Knast, ist ein legitimes Mittel, die eigene Identität zu bewahren.
immerhin wenigstens das.
Daß es aber auch anders gehen kann, zeigen Autoren wie Peter Paul Zahl, der trotz Isolationshaft den Schelmenroman "Die Glücklichen" schrieb, oder Rick Chlukey, der, angeregt duch Samuel Beckett, in Sing Sing das Theaterstück "The Cage", der Käfig, verwirklichte.
Es sind die berühmten Ausnahmen.
literatur aus dem Gefängnis schließt sich überganglos der "No-Furure-Generation" unserer Gesellschaft an.
Man resigniert. Man sieht keinen Sinn im Leben. Man schreit auf, wehrt sich gegen Hoffnungslosigkeit, setzt aber keinen kontrapunkt.
Nimmt man die Texte aus dem Gefängnis als Zustandsbericht, dann spiegeln sie eine verheerende Menschenverachtung wider, denend die Autoren ausgesetzt sind. Literarische Maßstäbe amziulegen hieße, den Zweck des Schreibens zu übersehen. Ein zweiter Dostojewski ist leider nicht in Sicht.
Den meisten Inhaftierten Autoren geht es nicht um das Erzählen einer Milieugeprägten Geschichte. Erst recht nicht um die sinnliche oder intellektuelle Auseindersetzung mit der Tat.
Die möglichst plakative Darstellung der Haftverhältnisse, oder die zum Teil sehr pfiffige vorgebrachten Argumente gegen Staatsanwalt, Gericht und Strafe, bilden den Schwerpunkt.
O-Ton Ralf-Axel Simon "Du mußt deinen Kummer ertränken
rieten mir meine Freunde
jetzt habe ich nur noch ein Problem
wie bekomme ich die Verantwortlichen ins Wasser"

Dieses Gedicht von ralf-Axel Simon, der am Wochenende gemeinsam mit Peter Lerch im Kaffee Graefe eine Knastlesung hatte, macht deutlich, welche Stoßrichtung die meisten Texte besitzen.
Nicht die Schilderung von Charakteren oder Schicksalen ist das Motiv um zur Feder zu greifen, sondern:
O-Ton Ralf-Axel Simon "ich hab einfach das Gefühl, daß Schmerzen, die ich mal erlitten habe, irgendwie `nem Sinn bekommen, nachträglich durch das Schreiben"
Man sollte annehmen, daß die Gefängnisliteratur nur so überquillt von phantasiereichen Geschichten und einer truamhaften, blühenden Bilderflut. Das Gegenteil ist der Fall.
"Gefangene sind die schlechtesten Träumer" schrieb einer, der es genau wußte, Dostojewskij.
Die Antwort auf diese verblüffende Feststellung liegt in der mangelnden Vorstellungskraft vieler Inhaftierter. Visionen sind nicht gefragt
Peter Feraru


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